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Mittwoch
01.05.2013

Der Presserat hat eine Beschwerde gegen die «Berner Zeitung» teilweise gutgeheissen. Sie stellte bei zwei Berichten je eine Verletzung der Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen) und einen Verstoss gegen die Ziffer 1 (Wahrheit) fest. Die Artikel «Rentnerin erhielt Besuch der Polizei» und «Im Krisenblock herrscht dicke Luft» erschienen im Mai und September 2012 in der «Berner Zeitung» und auf «Berner Zeitung Online».

In den Berichten ging es um einen Aargauer Rechtsanwalt, dem vorgeworfen wird, bei Hausverwaltungen und Erbnachlässen im grossen Stil Geld veruntreut zu haben. Dieser wollte sich eigentlich nicht über die Artikel vom Mai und September beschweren, sondern bezog in seinem Schreiben auch Artikel aus dem Januar und Februar. Da diese Artikel aber ausserhalb der Beschwerdefrist von sechs Monaten lagen, trat der Presserat nicht darauf ein.

Der Beschwerdeführer hatte argumentiert, dass bei der Onlinepublikation des letzten Artikels auch Verweise auf ältere Artikel veröffentlicht wurden, weshalb die Beschwerdefrist für alle Berichte zu diesem Thema grundsätzlich erst mit der Veröffentlichung des zuletzt veröffentlichten Artikels vom 7. September 2012 zu laufen hätten. Der Presserat widersprach: «Folgte der Presserat dieser Argumentation, würde eine Beschwerdefrist in der heutigen Zeit, in der die meisten Medien einen wesentlichen Teil ihrer Berichte auch online veröffentlichen und so dauerhaft zugänglich machen, weitgehend obsolet.»

Bei der Anhörungspflicht stellte der Presserat aber - wie vom Beschwerdeführer gefordert - eine Verletzung fest. Dieser beanstandete, dass der Autor weder mit dem Beschwerdeführer Kontakt aufgenommen noch irgendwelche Fragen gestellt, sondern vielmehr offensichtlich bei der «Aargauer Zeitung» abgeschrieben habe. Der Presserat stellte hingegen lediglich einen Verstoss fest, weil die «Berner Zeitung» in den beiden Artikeln nicht darauf hingewiesen habe, dass sie seit Januar 2012 mehrmals erfolglos versucht habe, den Beschwerdeführer zu erreichen, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Die Verletzung der Ziffer 1 hatte die «Berner Zeitung» bereits eingestanden. Dabei ging es um die Verkürzung der Textpassage «Ihm wird vorgeworfen, bei Hausverwaltungen und Erbnachlässen im grossen Stil Geld veruntreut zu haben. Probleme hatte er auch mit Mietern in Aarberg und Konolfingen». Statt Problemen wurde ihm plötzlich «zum Teil auch in Aarberg und Konolfingen» Veruntreuung vorgeworfen. Es habe sich dabei um eine «unbeabsichtigte Verkürzung» gehandelt, teilte die «Berner Zeitung» mit.

Eine Verletzung der Ziffer 7 (Identifizierung, Unschuldsvermutung) der «Erklärung», die der Beschwerdeführer ebenfalls moniert hatte, stellte der Presserat hingegen nicht fest.