Die leichtfertige Löschung von mehr als 200 «Blick»-Artikeln aus der Schweizer Mediendatenbank (SMD) vor dem Prozess von Jolanda Spiess-Hegglin gegen Ringier wirft hohe Wellen. Nun kritisiert auch der Presserat die Archivsäuberung. Ringier verfälsche dadurch die «historische Wahrheit».
«Dieser willkürliche Eingriff in die Archivfreiheit verfälscht das Bild dessen, was Schweizer Medien zum Fall Spiess-Hegglin/Hürlimann publizierten», bezog das Präsidium des Schweizer Presserates am Montag deutlich Stellung.
Gemäss den Ausführungen des Presserates müsse ein Archiv möglichst vollständig sein, damit auch spätere Generationen noch ein getreues Bild erhalten. «Die SMD hat daher die zentrale Aufgabe, die Gesamtheit der zu ihrem Sammelfeld gehörenden Objekte aufzubewahren. Nur so wird ein Archiv zum wahrhaftigen historischen Gedächtnis.»
Nicht nur der Medienkonzern Ringier, sondern auch die Schweizer Mediendatenbank steht deshalb in der Kritik des Presserates. Institutionell müsse sichergestellt sein, dass die SMD Dokumente «nur im absoluten Ausnahmefall löscht, etwa auf Gerichtsbeschluss», argumentierte das Gremium.
Dass Ringier als Mitinhaber der Schweizer Mediendatenbank AG «eigenmächtig einen ganzen Themenkomplex entfernen lässt», gehe nicht an. Denn die Mediendatenbank sei «kein beliebiges Firmen- oder Privatarchiv».
Und selbst in einem Firmenarchiv wäre ein solches Unterdrücken von Artikeln fragwürdig, findet das Präsidium des Schweizer Presserats abschliessend.
Etwa drei Stunden nach der öffentlichen Wortmeldung des Presserates kam Ringier mit einer Stellungnahme: «Der Presserat mischt sich in die Angelegenheiten der SMD ein. Er erklärt das SMD-Archiv zur historischen Quelle und will den Eigentümern der Artikel vorschreiben, wie sie mit ihrem Eigentum umzugehen haben. Die SMD ist eine private Aktiengesellschaft», poltert der in die enge getriebene Medienkonzern.
Das als Schweizer Mediendatenbank (SMD) bezeichnete Archiv und dessen Aktionäre seien dem Presserat «Rechenschaft schuldig», heisst es etwas vollmundig. Und weiter: «Es ist für uns nicht verständlich, dass der Presserat meint, er könne geschäftlich begründete Entscheidungen von Urheberrechtsinhabern kritisieren.»
Urheberrechtsinhaber? Die Schweizer Mediendatenbank bewegt sich hier schon seit Jahren auf dünnem Eis.
Ringier sieht den Presserat dann auch nicht für «eine wie auch immer geartete Wahrung einer 'historischen Wahrheit'» zuständig. Und nochmals geht Ringier auf dünnes Eis mit der Behauptung, dass der Presserat auch «falsch liege», wenn er meine, «nur gerichtliche Entscheidungen dürften für eine Löschung ausreichen».
Und ein von Ringier-Anwalt Matthias Schwaibold getriebener Gedanke heisst dann: «Für uns als Unternehmen ist die Löschung die logische Reaktion auf die angedrohte Gewinnherausforderung in einem Gerichtsfall. Durch die Löschung ist sichergestellt, dass sich die allfällige Gewinndiskussion auf einen genau begrenzten Zeitraum beschränken würde», glaubt der Ringier-Anwalt.
Wie dem auch sei, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat es für zulässig erachtet, «dass eine inhaltlich unzutreffende Meldung in einem Onlinearchiv weiterhin zugänglich bleibt, weil nur so zu gewährleisten ist, dass es keine Verfälschung historischer Vorgänge geben kann».
Es sei aus Gründen der Verhältnismässigkeit «grundsätzlich nur die Sperrung von Daten (Informationen), nicht aber deren (definitive) Vernichtung anzuordnen. Damit wird einigermassen sichergestellt, dass das 'Recht auf Vergessen' nicht zu einer Vernichtung historischer Daten oder einer aktiven Geschichtsfälschung führen kann».
Und wo kann man das nachlesen? Auf der Webseite von Ringier-Anwalt Matthias Schwaibold selber.