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Freitag
28.06.2019

Medien / Publizistik

Presserat kritisiert Anonymisierung von Experten-Quellen: Genaue Bezeichnung der Quelle ist im Interesse des Lesers, gar «unerlässlich», wenn dies zum Verständnis wichtig ist.

Presserat kritisiert Anonymisierung von Experten-Quellen: Genaue Bezeichnung der Quelle ist im Interesse des Lesers, gar «unerlässlich», wenn dies zum Verständnis wichtig ist.

Mit einer Reportage über einen aus Syrien geflüchteten und heute in der Schweiz tätigen Imam hat «Die Zeit» den Schweizer Journalistenkodex verletzt. Die meisten der zitierten Experten hätten laut Presserat mit Namen genannt werden müssen, ihre Anonymisierung erschwerte den Lesern das Verständnis.

«Kann man diesem Mann vertrauen?» titelte Aline Wanner ihr Porträt über den Iman Kaser Alasaad, das «Die Zeit» am 7. Juni auf den Schweiz-Seiten veröffentlichte. An der Uni Bern nahm der Iman an einem interreligiösen Studiengang teil, die Journalistin begleitete ihn über eine längere Zeit. 

In dem Porträt schildert Wanner, wie bei ihr bei einem Moscheebesuch Zweifel auftauchen, ob der Imam so moderat ist, wie er sich gibt. Sie holt die Meinungen von Dritten ein und zitiert sie anonymisiert. Einzelne dieser Aussagen deuten eine Nähe des Imams zu extremistischen Haltungen an.

Zwei Beschwerden gingen beim Presserat ein. Die eine kritisierte diese Anonymisierung der Quellen: Die Aussagen von Drittpersonen seien jeweils mit «jemand sagt …» eingeleitet, gleichzeitig diese Auskunftspersonen als Experten dargestellt worden. 

Laut Matthias Daum, Leiter des Schweizer Büros der «Zeit», sei auf die Nennung der Experten verzichtet worden, weil das «in diesem Kontext nicht von Relevanz ist. Im Gegenteil: Die Aufmerksamkeit des Lesers sollte auf die Aussagen gelenkt werden - und nicht auf die Namen der Urheber», wie er gegenüber dem Presserat schrieb. 

Andererseits sei bei einzelnen Auskunftspersonen eine Anonymisierung sogar angezeigt gewesen, da sich für diese Nachteile wie etwa Bedrohungen hätten ergeben können.

Konkret geht es um Passagen wie die folgenden: «Jemand sagt, womöglich sei er in Syrien Mitglied der Islamischen Befreiungspartei gewesen, die für ein islamisches Kalifat kämpft.» Oder: «Jemand sagt, die Moschee in Volketswil würde niemals zufällig einen harmlosen Flüchtling als Imam anstellen.» Oder: «Jemand sagt, es könne sein, dass er ein Muslimbruder sei.»

Laut Richtlinie 3.1 des Journalistenkodex liegt eine genaue Bezeichnung der Quelle im Interesse des Lesers: Sie ist «unerlässlich», wenn dies zum Verständnis wichtig ist, ausser es besteht ein «überwiegendes Interesse an der Geheimhaltung».

Eine genauere Begründung, weshalb einzelne Quellen zu schützen seien, habe «Die Zeit» nicht vorgelegt, schreibt der Presserat in seiner umfangreichen Stellungnahme. Matthias Daums Begründung, dass die Aufmerksamkeit «auf die Aussagen» gelenkt werden sollte und nicht «auf die Namen der Urheber», steht für das Gremium «in einem klaren Widerspruch» zur Richtlinie 3.1.

Denn «Die Zeit» habe kein überwiegendes Interesse an der Geheimhaltung geltend gemacht, «sondern schreibt selbst, dass es bei einem namhaften Teil der Quellen - die im Rahmen des Verfahrens gegenüber dem Presserat offengelegt wurden - keinerlei Grund zur Geheimhaltung gab». 

Indem dem Leser die Herkunft dieser Aussagen vorenthalten wird, werde ihm verunmöglicht, diese einzuordnen. Die Reportage stellt laut Presserat «ungerechtfertigte Anschuldigungen in den Raum und rückt den Imam in die Nähe fundamentalistischer Gruppen».