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Mittwoch
12.08.2020

Medien / Publizistik

blick

Ein Bild eines Leserreporters hat auf blick.ch zu einer Beschwerde beim Presserat geführt.

Unter der Schlagzeile «Zug kracht gegen Prellbock im Bahnhof Luzern» vom 3. Februar diesen Jahres sind nebst zwei Videos mehrere Bilder zu sehen, auf denen sich unter anderem SBB-Angestellte und Rettungspersonen nach dem Unglück unterhalten.

«Zwölf Zug-Passagiere bei Prellbock-Unfall in Luzern verletzt», schreibt das Boulevard-Portal, und fragt: «Hat sich der Lokführer verschätzt?»

Neben dem Text sind auf einer Aufnahme des fraglichen, nicht sichtbar beschädigten Steuerwagens fünf Personen in orangen und gelben Warnwesten zu sehen, die miteinander diskutieren.

Im beleuchteten Führerstand des Zuges, gleich dahinter, blickt ein Mann in Richtung der Diskutierenden. Das Bild ist am unteren Rand gekennzeichnet mit dem Signet «Blick Leserreporter», welches es als Einsendung eines Lesers kenntlich macht.

Gleichentags erhob jemand Beschwerde gegen die Veröffentlichung dieser Aufnahme mit der Begründung, sie verstosse gegen die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

«Der Beschwerdeführer gibt sich als Berufskollege des in den Vorfall involvierten Lokführers zu erkennen, er macht geltend, die unverpixelte Abbildung des deutlich erkennbar im Führerstand sitzenden Lokführers komme einer öffentlichen Zurschaustellung und Blossstellung des Betreffenden gleich und verletze dessen Recht auf den Schutz seiner Privatsphäre», schreibt der Presserat über die Eingabe des Beschwerdeführers. Dieser forderte, «die Sache mit den Leserreportern» sei ohnehin schleunigst zu unterbinden, sie habe die Züge einer medialen Hetze angenommen und berühre auch sicherheitstechnische Aspekte, wenn Personen, anstatt erste Hilfe zu leisten oder sonstige Reaktionen zu zeigen, das Handy zückten in der Hoffnung auf tausend Franken Belohnung.

Der Anwalt von blick.ch machte geltend, dass es eruierbar sei, dass das Bild über zwei Stunden nach dem Vorfall aufgenommen worden sei. Damit sei es unwahrscheinlich, dass immer noch der involvierte Lokführer im Führerstand sitze, argumentierte er. Blick.ch bestreite, dass der Abgebildete effektiv der involvierte Lokführer sei. Selbst wenn dies der Fall wäre, sei der Betreffende in der Grösse der damaligen Abbildung auf dem Bildschirm für die Leserschaft nicht erkennbar gewesen - und wenn doch, dann nicht als Unfallverursacher, heisst es etwas salopp formuliert über den Sachverhalt.

Es könne sich irgendwer im Führerstand befunden haben, die fünf Herren vor der Lok hätten ja wohl auch nicht bereits zum Unfallzeitpunkt dort gestanden und in Ruhe diskutiert, so der Ringier-Anwalt.

Und weiter: Die Privatsphäre könne nicht tangiert sein, weil sich das Ganze im öffentlichen Bereich eines Bahnhofs abgespielt habe. Es werde ja auch nicht die verletzte Privatsphäre der besser erkennbaren Männer im Vordergrund geltend gemacht. Der Mann im Führerstand sei nicht herausgehoben, nicht im Zentrum des Bildes, er sei «Beiwerk» in einem Bild, das eine Zugkomposition und fünf davor diskutierende Männer zeige. Deshalb sei Ziffer 7 der «Erklärung» aus Sicht des Ringier-Anwalts nicht verletzt.

Pikant: Erst auf Intervention der SBB wurde das Bild von blick.ch bearbeitet. Die SBB machten die Redaktion darauf aufmerksam, dass man im Führerstand jemanden sehe.

Das sei der Redaktion zuvor entgangen, so der Ringier-Anwalt. Man habe daraufhin die Person verpixelt.

In seinen Erwägungen ist für den Presserat ganz im Gegensatz zum Ringier-Anwalt klar, dass die sichtbare Person der Lokführer war: Angesichts der Tatsache, «dass sich der Beschwerdeführer für seinen am Unfall beteiligten Kollegen einsetzt und ihn gegen eine Zurschaustellung und Blossstellung verteidigt, liegt es für den Presserat auf der Hand, dass der Abgebildete sehr wohl der Involvierte ist», schreibt der Presserat.

Das Online-Portal habe nach eigenen Angaben denn auch das Bild verpixelt, nachdem die SBB dies erbeten hatten. Abgesehen davon sei der Umstand, dass das Bild erst zwei Stunden nach dem Vorfall aufgenommen wurde, für die Leserschaft nicht ersichtlich, auch wenn die fünf Männer im Vordergrund ruhig miteinander zu reden scheinen und auch wenn bereits ein Absperrband gespannt ist.

Der Leser, die Leserin sehe das Bild im Kontext der Schlagzeile und des Textes, die eine hektische Aktivität eines Grossaufgebots von Feuerwehr, Polizei und Sanität unmittelbar nach dem Vorfall vermitteln. Die Betrachter der Online-Seite können sehr wohl den Eindruck erhalten haben, sie sähen hier den in den Unfall involvierten Lokführer, argumentiert das Gremium.

Und weiter: Ob der Mann im Führerstand nicht zu erkennen gewesen sei, wie der Ringier-Antwalt schreibt, lasse sich für den Presserat nicht mehr mit Genauigkeit feststellen, «weil das Gesicht auf dem entsprechenden, online noch abrufbaren Bild inzwischen verpixelt wurde».

Angesichts der mit der Beschwerde eingereichten (nicht hochauflösenden) unverpixelten Version könne aber davon ausgegangen werden, dass der im Hintergrund nur klein abgebildete Kopf des Mannes im Führerstand höchstens für Angehörige oder Arbeitskollegen identifizierbar war, aber nicht für weitere Kreise, so der Presserat. Dies müsste aber gemäss Richtlinie 7.2 (Identifizierung) der Fall sein.

So haben unter anderem die nachträgliche Verpixelung und das auf Bildschirmgrösse reduzierte Bild schliesslich zu einer Abweisung der Beschwerde geführt.

Zur kritischen Bemerkung des Beschwerdeführers über die Institution der «Leserreporter», dass mit der Aufforderung, der Redaktion Fotos von Ereignissen einzusenden, falsche Anreize geschaffen werden, schreibt der Presserat: «Hier ist dem Beschwerdegegner zuzustimmen, dass es dabei um ein Thema geht, das nicht vom Presserat beurteilt werden kann. Dieser befasst sich nur mit der Frage, ob ein Medienbericht den Anforderungen der ‚Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten‘ genügt.»