Content:

Dienstag
09.07.2002

Auch bei einer gleichzeitig mit einem Leserbrief veröffentlichten Antwort eines Chefredaktors sind die Betroffenen anzuhören, wenn darin schwere Vorwürfe erhoben werden. In diesem Sinne hat der Schweizer Presserat eine Beschwerde gegen das «St. Galler Tagblatt» weitgehend gutgeheissen. Der Vorfall: Im Januar 2001 berichtete das «St. Galler Tagblatt» über Anschuldigungen der Schweizerischen Patienten-Organisation (SPO) gegen Jochen Lange, Chefarzt Chirurgie am Kantonsspital St. Gallen. Daraufhin wurden 22 den Arzt unterstützende Leserbriefe veröffentlicht, darunter auch einer, der die Berichterstattung der Zeitung kritisierte. Diese Leserzuschrift wurde von einer Antwort des Chefredaktors Gottlieb F. Höpli begleitet, der eine Kampagne gegen die SPO und deren Präsidentin, Margrit Kessler, in Abrede stellte.

In der Antwort des Chefredaktors sei das Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen verletzt worden, schreibt der Presserat am Dienstag: Höpli habe seine Behauptungen nicht materiell belegt, wie beispielsweise die «nicht durchwegs erfreulichen Begleitumstände», unter denen die SPO-Präsidentin einen früheren Arbeitsplatz verlassen habe. Zudem seien die Betroffen weder befragt worden noch konnten sie zu Wort kommen. Ausserdem sei der Chefarzt fälschlicherweise als früherer Vorgesetzter des Ehemanns der SPO-Präsidentin bezeichnet worden. Der Presserat hielt aber auch fest, dass die Zeitung ohne Weiteres kritisch oder gar einseitig über die Vorwürfe der SPO habe berichten dürfen. Zudem sei sie nicht zum Abdruck von Leserbriefen verpflichtet gewesen. «Tagblatt»-Chefredaktor Gottlieb
F. Höpli hielt am Dienstag fest, er könne die Stellungnahme des Presserats nicht akzeptieren: Dass eine fehlerhafte Formulierung als Verstoss gegen die Wahrheit beurteilt werde, sei inakzeptabel. Die vollständige Stellungnahme 29/2002 finden Sie unter http://www.presserat.ch/15560.htm