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Mittwoch
19.07.2023

Medien / Publizistik

«Ich hatte jetzt eine Geschichte, ich hatte eine Identität»: So schreibt Fabian Wolff über sein angebliches Judentum am 16. Juli 2023. (Bildschirmfoto aus dem Artikel)

«Ich hatte jetzt eine Geschichte, ich hatte eine Identität»: So schreibt Fabian Wolff über sein angebliches Judentum am 16. Juli 2023. (Bildschirmfoto aus dem Artikel)

Als im Mai 2021 Fabian Wolff in einem Essay für «Die Zeit» ein «emotionales Essay zum Antisemitismus» (Deutschlandfunk Kultur) verfasste und für die Akzeptanz der vom Bundestag als antisemitisch bezeichneten Organisation BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) warb, war der deutsche Feuilleton entzückt. Ein Jude, der Israel kritisiert, her damit!

Nun platzt in diesen Tagen die Bubble: Fabian Wolff, der erst zur Abizeit erfahren haben soll, dass er eine jüdische Grossmutter habe, ist gar kein Jude. 

Ein Kommentar für den Klein Report von Politologin Regula Stämpfli, die im Fall Wolff den klassischen Selfie- und postdemokratischen Klick-Journalismus erkennt.

Die deutsche Presse hat seit Relotius wieder einen Fälscherskandal, diesmal im Identitätsmilieu. Schon länger ist klar, dass die linksliberale Presse Israel-Bashing bevorzugt. Selbst die NZZ glänzte am letzten Sonntag mit einem verstörend uninformierten Artikel zu Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, indem behauptet wurde, er hasse die Medien, wenn er gleichzeitig in den USA auf Podcast-Tour ist.

Der jüdische Alibi-Kronzeuge, Fabian Wolff, der Israels Demokratie mit klassischen Anti-Positionen wortreich kritisiert und dafür als Hätschelkind in der deutschen Presse rumgereicht wurde – wenn dies ein Jude sagt, muss es ja stimmen –, ist ein Fake.

Druckt man den «jüdischen» Identitätsartikel («Die Zeit» vom 2. Mai 2021) aus, schwafelt Fabian Wolff auf 18 Seiten davon, wie sein «jüdisches» Leben aus «einem gepackten Koffer unter dem Bett» besteht und er es eigentlich nicht mag, «diesen Text auf Deutsch» zu schreiben, da «Deutsch an sich» eine «Belastung» sei. In seinem Essay durften selbstverständlich jiddische Ausdrücke nicht fehlen.

Fabian Wolff erzählt auch davon, wie er Rapper vor Antisemitismusvorwürfen schützt. Es seien allesamt «Jugendsünden» – und man solle doch der Musik nicht vorwerfen, ein «Bild dieses Landes» zu entwerfen, die zu ihm, Fabian Wolff, mehr spreche als die «Bürgerkindergesänge über dem Schweigen bei Familienfeiern».

Zur Erinnerung: Bei der Echo-Verleihung sangen Rapper Kollegah und Farid Bang: «Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen» und «Mache wieder mal ‘nen Holocaust, komm’ an mit dem Molotow». Sie bekamen für das Album den Preis, der anschliessende Protest führte zur Abschaffung der «Echo»-Awards – der Klein Report berichtete ausführlich darüber.

Weiter behauptete Wolff, Deutschlands kulturelle und politische Öffentlichkeit sei ätzend pro-israelisch. Well, nein. Arte, ZDF, ARD, «Süddeutsche», «Spiegel» und Co. profilieren sich mit pro-palästinensischen Positionen, und zwar teilweise so krass, dass die Pressemitteilungen dazu immer wieder korrigiert werden müssen.

Wolff hatte als deutscher Jude die perfekte Pole-Position als «Experte» für antiisraelische Meinungen aus «jüdischer Sicht». Das «juste Milieu» der deutschen Gegenwartsinformation bedient sich gerne solcher Positionen.

Das Nomadentum der Vorurteile benimmt sich in den algorithmusgetriebenen deutschen Redaktionen wie Bots: Sie werden bei bestimmten Themen wie Israel, Gendern, Nazi, ungeachtet des wirklichen Inhalts, in Aktion gesetzt. Es zählt nicht die Recherche, sondern die Meinung. News, Reportagen, Hintergründe mit Ambivalenz haben es verdammt schwer.

So wird der Reality Check mittels journalistischer Klickmentalität abgeschafft und zerstört damit den öffentlichen Diskurs. Ein öffentlicher Diskurs, der für jede Demokratie konstituierend ist. Gerade in Deutschland machen Journalisten (weniger Journalistinnen, ausser sie sind jung, antifeministisch, gegen Alice Schwarzer oder anti-weiss drauf) Karriere, wenn sie, besonders in linksliberalen Blättern, das schreiben, was linksliberale Blätter meinen, publizieren zu müssen.

So veröffentlichte die «Süddeutsche Zeitung» erst kürzlich eine Kolumne über die – aus muslimisch sozialisierter Sicht – «Obszönität», wenn «Frauen ein Eis essen». Damit bediente sie die extreme Rechte mit Fremdenhass-Material, während sich Feministinnen mit Fug und Recht über den Artikel, der Frauen total pornografisiert, entsetzten, als «rassistisch» beschimpft werden.

Relotius hat mit Fakes, Fiktionen und linksliberal gefälligen Narrativen sämtliche Journalistenpreise abgeräumt und damit viele der wirklich tollen Journalistinnen leer ausgehen lassen. In Deutschland hat der Selfie-Journalismus unter Männern extreme Ausmasse angenommen. Jan Böhmermann beschimpft auf Twitter seine Kollegin Sandra Maischberger «als Nazi».

Im Zuge dieses Skandalisierungs- und Profilierungssystems werden auch unbescholtene Menschen diffamiert und in ein völlig falsches Licht gesetzt: Bei Fabian Wolff ist es die jüdische Diaspora, bei Relotius waren es die Menschen von «Fergus Falls», bei Jan Böhmermann ist es, unter vielen anderen, die Biologie-Doktorandin Marie-Luise Vollbrecht.

Die Frage sei hier mal erlaubt: Wie lange soll dieser Klick-Journalismus inklusive Selfie-Inszenierung in für die Demokratie so wichtigen meinungsbildenden Medien noch dauern?

Eine Mahnung zum Schluss: Während unbescholtene Menschen von Selfie-Journalisten à Typ Jan Böhmermann als «Nazis» oder «Terfs» verunglimpft werden, erreicht die AfD – also die wirkliche Nazipartei – laut ZDF-Politbarometer vom 30. Juni 19 Prozent. Damit liegt sie vor der SPD.

Vielleicht denken deutsche Qualitätsmedien wieder stärker darüber nach, welche Aufgaben sie als vierte Gewalt auszuüben haben: Klickmaschinen anwerfen gehört sicherlich nicht zum Medienauftrag.