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Montag
13.06.2022

Medien / Publizistik

Ein Flugblatt des «Südstern» zeigt den reichen Juden als Kriegsgewinner...    (Screenshot Online-Format «STRG_F»)

Ein Flugblatt des «Südstern» zeigt den reichen Juden als Kriegsgewinner... (Screenshot Online-Format «STRG_F»)

Die Vorwürfe der antisemitischen Propaganda im Zweiten Weltkrieg rund um Henri Nannen sind nicht neu. Doch jetzt werfen neue Recherchen des Online-Formats «STRG_F» ein dunkles Licht auf Nannen.

Er soll im Zweiten Weltkrieg «in leitender Position an antisemitischer Propaganda beteiligt» gewesen sein. Diese Enthüllungen hat das Magazin des Norddeutschen Rundfunks (NDR) bereits Anfang Mai publik gemacht. Inzwischen ist der Bericht in der Mediathek über 240'000 Mal angeklickt worden, mit Hunderten von kritischen Kommentaren. Das hat die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» am Samstag zu einem ergänzenden Beitrag veranlasst.

Henri Nannen ist eine der grossen Figuren des deutschen Journalismus. Er war Gründer und Chef des Magazins «Stern». Er hat auch «Jugend forscht» initiiert. Für seine Leistung wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Der 1996 verstorbene Verleger ist zudem Namensgeber für die renommierte Henri-Nannen-Schule, die Journalistinnen und Journalisten ausbildet.

Im Zweiten Weltkrieg war Henri Nannen zu Beginn ein einfacher Soldat bei der Luftwaffe. Bekannt ist, dass er in den letzten beiden Kriegsjahren in eine Propagandaeinheit der SS abbestellt wurde. Sie sollte auf Befehl von Adolf Hitler mit Flugblättern die alliierten Soldaten beeinflussen, die in Italien heranrückten.

Das Unternehmen trug den Namen «Südstern». Dass Nannen der eigentliche Boss war, «ohne dabei der SS anzugehören», ist unbestritten.

Jetzt hat das Rechercheformat des NDR die Propaganda-Flugblätter gefunden, die bei «Südstern» entstanden sind.

Diese «beinhalten deutliche antisemitische Motive und Texte», heisst es im Enthüllungsbericht. So sieht man auf einem Flugblatt das Stereotyp eines reichen Juden, der über eine blonde Frau herfällt und ihr Strumpfband löst. Hinten, im Schaufenster seines Büros, stehe «Sam Levy».

Die Botschaft: Die kapitalistischen Juden machen sich zu Hause über die Frauen der Soldaten her, während deren Männer an der Front sterben. Ein anderes Flugblatt zeigt das Stereotyp eines dicken Juden, der sich über einen Truthahnbraten hermacht, während im Hintergrund ein amerikanischer Soldat stirbt. Der NDR interpretiert: Die Juden sind Verräter.

Es gibt auch ein Flugblatt, in dem ein Jude Soldaten durch den Fleischwolf dreht und zu Geld macht.

Gefunden hat «STRG_F» vom NDR gleich Dutzende solcher Flugblätter aus der Küche des «Südsterns». In einer Ausgabe ist zu lesen: «Nur eine Gruppe von Menschen profitiert von jedem Krieg: Die Wallstreet und die Juden!» Das krasseste Flugblatt prophezeit einen Dritten Weltkrieg, den die Juden bereits vorbereiten würden.

In seinem Entnazifizierungsverfahren hat Henri Nannen später seine Beteiligung an der SS-Kampagne «Südstern» verschwiegen. Er wurde entlastet und erhielt daraufhin seine erste Zeitungslizenz. Ein neuer «Stern» am Himmel der Publizistik konnte aufgehen – beim «Stern».

Pikant ist im Nachhinein, dass Henri Nannen den «Stern» zu seinem 70. Geburtstag Ende 1983 verlassen wollte. Im Frühling 1983 flog der Skandal mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern auf. Nannen gab sich bei der Aufarbeitung der Affäre «eine Mitschuld» für die journalistische Mega-Panne.

Aktuell wollte der «Stern» sich zu den neuen Vorwürfen mit dem «Südstern» nicht äussern. Man stehe aber grundsätzlich «jeder neuen Information zur Biografie Henri Nannens sehr offen» gegenüber.