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Montag
19.09.2016

Kino

1942 steht Europa in Flammen. Der Krieg ist weit weg, denkt man hier. Doch auch in der Schweiz gibt es Hunderte, die Adolf Hitler blind nacheifern. Auch im kleinen Westschweizer Städtchen Payerne. Fünf Nazi-Freunde wollen Hitler, ihrem Idol im fernen Berlin, ein grosses Geschenk zum Führer-Geburtstag machen. Und sie haben auch schon ein Opfer im Visier.

Arthur Bloch, ein jüdischer, gutsituierter Viehhändler aus Bern (gespielt von Bruno Ganz), der mit den Bauern des Dorfes gute Geschäfte machte. Die rechte Bande lockte den Geschäftsmann in einen Stall und ermordete ihn bestialisch. Die Leiche zerstückelten sie, füllten sie in Milchkannen und versenkten sie in einem nahen See. Um ein Exempel zu statuieren, haben sie einen Juden getötet.

Unglaublich, aber wahr: Der Mord an Arthur Bloch ist tatsächlich passiert. Der vielfach ausgezeichnete Waadtländer Schriftsteller Jacques Chessex hat die schreckliche Tat in seinem Roman «Un juif pour l’exemple», der 2009 erschienen ist, literarisch aufgearbeitet. Der Westschweizer Filmemacher Jacob Berger hat «Un juif pour l’exemple» verfilmt und ihn in Locarno beim Filmfestival erstmals einem breiten Publikum vorgestellt.

Jacob Berger hat in seinem beeindruckenden Film aber nicht nur den schrecklichen Mord an Bloch in Payerne verfilmt, sondern auch das Schicksal des Chronisten Jacques Chessex miteinfliessen lassen. Was ein guter Schachzug war, denn die Tat und Chessex haben geradezu eine schicksalshafte Verbindung zueinander.

Jacob Berger in einem Interview mit dem Schweizer Chronisten und Schriftsteller Christoph Gallaz: «Es gab ein Verbrechen, dann ein Prozess, die Schuldigen wurden verurteilt und man sagte ganz klar: Alles ist geregelt», so Berger. «Die Justiz hat ihr Werk vollbracht, alles kann wieder zur Ordnung zurückkehren. Die Lokalpolitiker, die Journalisten, die Richter, alle haben das gleiche Urteil gefällt: Je schneller man diese Geschichte vergisst, desto besser.»

Doch Jacques Chessex hat die schrecklichen Ereignisse nicht vergessen, sondern sie schriftlich festgehalten. Sehr zum Unmut der Bevölkerung von Payerne. Jacob Berger: «Als Chessex forderte, dass man einen Platz oder eine Strasse der Stadt nach Arthur Bloch benannt oder wenigstens irgendwo in der Stadt ein Schild anbringt, sagt man ihm: ‚Nein, nein. Das weckt nur Erinnerungen, das wollen wir nicht», erklärt Berger. «Was zur Folge hat, dass in Payerne der Name des Mörders im öffentlichen Raum gegenwärtig bleibt, während der Name seines Opfers weiterhin verschwiegen, wenn nicht verleugnet wird. Keinerlei kollektives Schuldgefühl.»

Im Gegenteil: Chessex, der Chronist, wird in Payerne öffentlich blossgestellt. Bei einer Lesung 2009 in Yverdon-les-Bains wird er verbal so heftig attackiert, dass der Schriftsteller einen tödlichen Herzinfarkt erleidet. Der Arzt, der ihn so hart anging, verliess nach Chessex’ Zusammenbruch fluchtartig den Saal und wurde nie eruiert.

Und so haben die schrecklichen Ereignisse in Payerne 1942 eigentlich gleich zwei Todesopfer gefordert. Die des Arthur Blochs und die des Chronisten viele Jahre später.