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Montag
27.02.2023

Medien / Publizistik

Es hätte ein historischer Moment werden sollen: «Stern»-Reporter Gerd Heidemann präsentiert die gefälschten Hitler-Tagebücher (1983)…          (Screenshot NDR)

Es hätte ein historischer Moment werden sollen: «Stern»-Reporter Gerd Heidemann präsentiert die gefälschten Hitler-Tagebücher (1983)… (Screenshot NDR)

Es war eine Mediensensation mit historischer Bedeutung, als der «Stern» im April 1983 die «Hitler-Tagebücher» der versammelten Weltpresse präsentierte. 60 Bände, die seither im Keller des Hamburger Verlags Gruner + Jahr in einem Safe lagern.

Die Bücher sollten nach Meinung der damals Beteiligten «die deutsche Geschichte» verändern. Doch die vermeintliche Sensation konnte sich nicht lange halten. Die handschriftlichen Bücher entpuppten sich als eine Fälschung aus der Feder von Konrad Kujau.

40 Jahre nach dem Skandal hat der NDR die Tagebücher nun in vollem Umfang digitalisiert und am 23. Februar auf seiner Webseite online gestellt. Das frei zugängliche Dokument bietet eine Volltextsuche. Ein Politologe ordnet die Einträge ein.

Sie offenbaren die geschichtspolitischen Motive des Fälschers und einiger seiner Helfer: nämlich «die Leugnung des Holocaust». Das beweist der NDR in einer begleitenden Dokumentation unter dem Titel «Gefälschte Tagebücher: So gefährlich war der Hitler-Fake». Die Sendung wurde von Anja Reschke und ihrem Team realisiert.

Gemäss ihren Aussagen waren die Texte zum Teil schwer zu entziffern. Weil der Fälscher Konrad Kujau Hitlers Handschrift imitieren wollte, hat er sie in einer alten deutschen Schreibschrift zu Papier gebracht. Der NDR hat deshalb zusammen mit Wissenschaftlern und mithilfe Künstlicher Intelligenz ein Programm entwickelt, das Handschriften übersetzen kann.

Erschreckende Erkenntnis für die Forschenden beim NDR: Hitler wusste gemäss den gefälschten Tagebüchern nichts vom Holocaust. Mehr noch, er setzte sich angeblich für eine wohlwollende Lösung ein. So schreibt der falsche Hitler am 31. Juli 1941, man solle die Juden zur schnellen Auswanderung bewegen oder ihnen «einen sicheren Landstrich in den besetzten Gebieten suchen, wo sie sich selbst ernähren und verwalten können».

Allerdings war zu diesem Zeitpunkt der Holocaust von den Nazis schon längst in vollem Gange.

Wieso das den verantwortlichen Redaktoren beim «Stern» damals nicht auffiel, hat nun noch einmal eine scharfe Debatte in den deutschen Medien ausgelöst. Für den Historiker und Politikwissenschaftler Hajo Funke, der die «Tagebücher» für den NDR gelesen und kommentiert hat, ist das ein klarer Akt von Geschichtsfälschung: «Diese ‚Tagebücher‘ sind Ausdruck von Holocaust-Leugnung. Das ist eindeutig», so lautet das für den «Stern» vernichtende Urteil des Historikers.

Alle Alarmzeichen für eine beabsichtigte Geschichtsfälschung leuchten für den NDR mit der nun erstmals möglichen Volltextsuche auch auf. Die Ergebnisse seien erschütternd: «Gaskammern» – 0 Treffer. «Deportation» – 0 Treffer. «Auschwitz» – 0 Treffer.