Zum Gedenken an Matthias Saxer (Sx.) hat Markus Spillmann, Chefredaktor der «Neuen Zürcher Zeitung», am Samstag einen Nachruf in der Zeitung publiziert. Die Würdigung im Wortlaut:
«Ein Problem für das System der Konkordanz sind ohnehin weniger die politisch unkorrekten Ausreisser in der heissen Phase eines Wahlkampfes, als es der Dauerwahlkampf ist, der Lösungen auch in den Jahren zwischen den Wahlen blockiert oder verzögert. Sx., NZZ 22. 9. 07»
Wenn Matthias Saxer etwas nicht geschätzt hat, dann den politischen Schaulauf ohne Substanz. Wer sich in Bundesbern oder auf kantonalen Bühnen aufplusterte, der musste damit rechnen, irgendwann mit einem feinsinnigen, bisweilen aber auch bissigen Kommentar bedacht zu werden. Politik als Event war dem Inlandchef mit dem Kürzel Sx. in den fast 25 Jahren seiner Tätigkeit für die «Neue Zürcher Zeitung» ein Gräuel - und er hat mit Belustigung, aber auch wachsender Besorgnis verfolgt, wie sich der Politikbetrieb auch in der Schweiz zunehmend personalisierte.
Unabhängigkeit als oberste Maxime
Seine Zeilen aus einem Leitartikel mit dem Titel «Wahlkampf muss sein», geschrieben nur wenige Wochen vor den Parlamentswahlen 2007 und dem nachfolgenden Eklat rund um die Abwahl von Bundesrat Blocher, lesen sich auch heute noch als Mahnung, den äusseren Schein nicht zur Erfolgsformel für gute Politik zu erklären.
Damit hat er vielen Leserinnen und Lesern aus dem Herzen gesprochen, vielleicht auch deshalb, weil er sie immer auch als mündige Bürger wahrgenommen hat. Ihnen wollte Saxer Politik verständlich vermitteln, die Gravitationskräfte aufzeigen und entlarven, wo sie der Begünstigung persönlicher Interessen dienten und wo der Substanz. Dass er dabei konsequent die Sach- über die Parteipolitik gestellt hat, hat ihm über die Jahre immer wieder auch heftige Kritik eingetragen. Er aber war als Vollblutjournalist richtigerweise überzeugt davon, dass eine liberale Stimme vom Gehalt einer NZZ in ihrem Urteil unabhängig von primär parteipolitischen Erwägungen bleiben muss, gerade in einer sich zunehmend polarisierenden politischen Landschaft. Für ihn war die Konkordanz nicht heilig, aber sorgsam zu pflegen. Politische Erschütterungen liebte er als Journalist, bei Wahlen blühte er richtiggehend auf. Aber er blieb sich im Kern stets treu in seiner Überzeugung, dass Veränderungen nur dann erwünscht sind, wenn sie zu einer nachhaltig positiven Entwicklung beitragen. Das blosse Feuerwerk und medial inszenierte politische Ränkespiele waren ihm suspekt.
Saxer war daher auch nie ein Freund von politischen Stilnoten, er empfand sie als heuchlerisch und willkürlich. Die Abwahl von Bundesrat Blocher hat er im Einklang mit der Haltung der NZZ aus sachlich-politischen Überlegungen als Fehler bewertet. Die Stabilität des auf Konkordanz aufbauenden Systems war ihm wichtiger als ideologische oder gar persönliche Motive. Den plumpen Populismus und die zum Programm erhobene Oppositionshaltung der SVP lehnte er genauso ab wie die grenzenlose Staatsgläubigkeit der Linken etwa bei der Sicherung der Sozialwerke. Der politischen Mitte aus FDP und CVP hat er immer wieder einen Spiegel vorgehalten, wenn Themen nicht aufgegriffen wurden, von denen er spürte, dass sie Sprengkraft besassen. Beweglichkeit mit Augenmass, das war Saxers Maxime bei der Gestaltung der Innenpolitik genauso, wie er sie für die aussenpolitische Wegstrecke anlegte, etwa im Verhältnis zu Europa.
Kein Freund grosser Worte
Auf Du und Du zu stehen mit den politisch und wirtschaftlich Handelnden, wie es im hiesigen Journalismus zu oft vorkommt, hat Saxer nie gesucht. Dennoch war er bestens vernetzt und immer äusserst gut informiert, ohne ausschliesslich auf das Biotop unter der Bundeshauskuppel fixiert zu sein. Im direkten Kontakt konnte seine Zurückhaltung, ja seine bisweilen fast scheu zu nennende Art, täuschen: Saxer war immer sehr präsent, fokussiert und scharfsinnig - aber ein Freund weder grosser Worte noch jovialer Gestik. Offen und konziliant war er in überaus feiner und geselliger Weise unter Arbeitskollegen und unter Freunden; als Journalist aber pflegte er Distanz bewusst zu wahren. Diese Souveränität im Umgang mit den Exponenten der Politik hat ihm nicht nur Freunde geschaffen. Aber sie hat ihn in seiner Unabhängigkeit geschützt und ihm eine hohe Glaubwürdigkeit verliehen.
Saxer plädierte für eine ehrliche, der Sache verpflichtete Politik - und so verstand er auch stets seine journalistische Aufgabe. Kritisch und kompetent vermittelte er der Leserschaft in einer oft bildhaften Sprache Einblick in das Räderwerk schweizerischer Innenpolitik. Wer Sx. las, erkannte, dass diese spannend und facettenreich ist - geprägt vom föderalen Staatsgedanken, von der direkten Demokratie, dem komplizierten Mächtegleichgewicht von Parlament und Regierung und dem stets neu zu findenden Ausgleich zwischen Landesteilen, Sprachen und Parteifarben.
Geboren 1948 in Aarau, blieb Saxer ein Leben lang seinem Geburtskanton verbunden. Sein Studium in Zürich schloss er mit einer Arbeit bei Peter von Matt über Ödön von Horvaths «Der ewige Spiesser» ab. Kurz danach, 1974, trat er beim damaligen «Badener Tagblatt» unter dem Patron Otto Wanner zunächst in die Stadtredaktion ein. Ab 1979 leitete er dann für sechs Jahre die Regionalredaktion Baden, zuletzt auch als Mitglied im leitenden Redaktionsausschuss. Es war eine Zeit, in der die zwei grossen Zürcher Tageszeitungen gerne nach Westen blickten, wenn sie auf der Suche nach jüngeren Talenten waren. Aus der Redaktion des «Badener Tagblatts» stammen auf dem Platz Zürich gleich mehrere profilierte Federn; Matthias Saxer gehörte dazu, er wurde 1985 vom damaligen Chefredaktor Hugo Bütler zur NZZ geholt.
Hier führten die Kollegen der «alten Schule», allen voran Kurt Müller, Saxer in die Inlandberichterstattung ein. Schon damals war er nicht nur vielseitig interessiert und handwerklich solid ausgebildet, sondern auch belastbar. Seine Stilsicherheit und das Beherrschen der verschiedenen journalistischen Formen machten ihn für vieles einsetzbar. So übernahm er 1986 unter anderem die Beilage «Luftfahrt», die er konsequent weiterentwickelte - wodurch er sich mit den Jahren neben dem Ruf eines der profiliertesten Schweizer Politjournalisten auch jenen eines profunden Aviatik-Experten erwarb. Typisch für Saxer war, dass er daneben aber auch noch die Beilage «Bauen, Planen, Wohnen» aufbaute und diese über Jahre betreute.
Feiner Humor
Als er 1994 nach einigen Monaten Interimsverantwortung vom Verwaltungsrat zum neuen Ressortleiter Inland ernannt wurde, übernahm er ein durch mehrere Wechsel und interne Auseinandersetzungen verunsichertes Team. Es ist ihm über die Jahre gelungen, mit Geschick, viel Geduld und grosser Kollegialität in einer sich stark wandelnden politischen und journalistischen Landschaft die Akzente neu zu setzen. Unter seiner Leitung ist die Inlandberichterstattung der NZZ im besten Sinn journalistischer geworden.
Geholfen haben Matthias Saxer dabei seine bewundernswert grosse Gelassenheit, sein Pragmatismus und der unkomplizierte Umgang, den er weit über das eigene Ressort hinaus auch im Dienste der Gesamtredaktion immer wieder an den Tag legte. Sein feiner, hintergründiger, aber nie verletzender Humor machte auch vor sich selbst nicht halt; er stellte sich vor seine Kollegen, ohne falsche Zugeständnisse zu machen, und er war ein aufrichtiger Kämpfer für die hohe journalistische Qualität einer NZZ.
Dabei hat er die Führungsfunktion nie gesucht. Bisweilen litt er unter ihr, jüngst mehr als früher angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen. Seine Loyalität und Verlässlichkeit aber machten ihn auch für die Chefredaktion zu einem sicheren Wert. Saxer war stets interessiert an der Entwicklung im Schweizer Medienmarkt, er wusste um die Herausforderungen insbesondere für die bezahlte Qualitätszeitung. Er hat sich immer für Entwicklung und gegen Stillstand ausgesprochen, war ein Reformer und mutig genug, Neues zu wagen. Sich selbst hat Saxer in all den Jahren nie in den Vordergrund gerückt. Starallüren waren ihm fremd, er blieb bescheiden, ja neigte gar dazu, sein grosses Können unter den Scheffel zu stellen.
Matthias Saxer ist am Donnerstag auf einer Bergwanderung im Prättigau unerwartet zusammengebrochen und verstorben. Die NZZ verliert einen vielseitigen und scharfsinnigen Journalisten, einen überaus kollegialen Vorgesetzten und einen sehr feinen Menschen. Seine Kolleginnen und Kollegen werden ihn sehr vermissen.
Markus Spillmann
In Absprache mit der Trauerfamilie wird dieser Nachruf vor der Publikation der Traueranzeigen veröffentlicht. Diese werden in der kommenden Woche erscheinen.
Sonntag
26.07.2009



