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Sonntag
09.09.2018

Medien / Publizistik

Opfer sind Fotografen und Kamerateams

Opfer sind Fotografen und Kamerateams

Nach den Ereignissen von Chemnitz herrscht in Deutschland ein medienfeindliches Klima wie seit dem Beginn der Pegida-Bewegung nicht mehr. Manchmal gelingt es den Demonstranten sogar, die Polizei für ihre Zwecke einzuspannen.

Nimmt man die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) als Gradmesser für das Medienklima in Deutschland, dann ist von einem schubartigen Anstieg der Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten auszugehen. Mehr Augenzeugen als sonst würden sich beim Journalistenverband melden. Klarheit über das genau Ausmass ist aber erst Ende Jahr zu erwarten, wenn ROG die eingegangenen Meldungen nochmals nachgeprüft hat.

Vertraut man der Organisation und den Augenzeugen, ereigneten sich auf den Strassen von Chemnitz im Freistaat Sachsen an den letzten beiden Wochenenden hässliche Szenen. Mehrere Journalisten hätten berichtet, dass sie «noch nie einem solchen Hass und einer solchen Aggressivität ausgesetzt waren wie während dieser Proteste».

Speziell besorgniserregend sei, dass auf Demonstrationen von Rechten «verstärkt grosse Menschengruppen Journalisten ins Visier nehmen, sie kollektiv beschimpfen und bedrängen». Besonders die Polizei sei jetzt gefordert, dafür zu sorgen, dass die Journalisten ihren Job machen könnten, verlangt die Journalistenorganisation.

Als 2015 die Pegida-Bewegung begann, hatte Reporter ohne Grenzen in Deutschland 39 gewalttätige Übergriffe gegen Medienschaffende gezählt, vor allem auf Demos von Pegida, von Rechtsradikalen oder auf Gegendemonstrationen. Das war bis dato eine unerreichte Zahl. Für das laufende Jahr erwartet ROG eine noch höhere Zahl.

Gezählt werden in dieser Gewalt-Statistik nur «tätliche Angriffe», also wenn Reporter zum Beispiel geschlagen oder zu Boden geworfen oder Ausrüstung beschädigt wurde. Nicht dazugezählt werden etwa Platzverweise durch die Polizei oder wenn Reporter auf Demonstrationen weggedrängt oder Kameraleute geblendet werden. Auch für verbale Drohungen führt ROG eine eigene Statistik. 

Die amtliche Zahl der Gewaltattacken liegt tiefer, was nicht allzu sehr überraschen dürfte, weil nicht alle Vorfälle auch verzeigt werden. Das deutsche Bundeskriminalamt hat für das Jahr 2016 16 politisch rechts motivierte Gewalttaten auf Journalisten verzeichnet. 2017 waren es elf und im laufenden Jahr bisher sechs.

Opfer der gewalttätigen Angriffe sind vor allem Fotografen und Kamerateams. Journalisten also, die leicht als solche erkennbar sind und symbolhaft für die verunglimpfte «Lügenpresse» stehen.

Besonders brisant: Teilweise gelingt es den Demonstranten, die Polizei für ihre Zwecke einzuspannen, wie Reporter ohne Grenzen feststellt. In Chemnitz hatten Demonstranten versucht, unter Berufung auf die neue Datenschutzgrundversorgung (DSGVO) die Berichterstattung zu behindern. Ihr Argument: Bilder von ihnen dürften als personenbezogene Daten nicht mehr ohne ihr Einverständnis verwendet werden. Teilweise wurden sie dabei von der Polizei unterstützt.

Zu Unrecht, sagt die Journalistenorganisation: Laut dem deutschen Kunsturheberrechtsgesetz dürfen «Bildnisse der Zeitgeschichte» ohne Einwilligung der Abgebildeten publiziert werden. «Und dazu zählen Bilder von öffentlichen Demonstrationen inklusive ihrer Teilnehmer», erklärt Reporter ohne Grenzen.