Seit Wahrheit und Wirklichkeit nicht mehr von Fakten, sondern von der besseren Story abhängen, kämpfen Journalisten mit härteren Bandagen gegeneinander. Für den Klein Report kommentiert die Politologin Regula Stämpfli das Vorgehen von Journalisten, die ihre Berufskollegen, ja den ganzen Berufsstand unter Verdacht stellen.
Der Presserat hat entschieden: Die Kritik des Branchenblatts «Schweizer Journalist» mit dem Titel «Ein Hauch von Relotius» gegen eine USA-Reportage der «Republik» ging zu weit. Tatsächlich gab es bei der «Republik»-Reportage Fehler, doch diese würden den «sehr schweren Vorwurf» im angedeuteten Vergleich zu Relotius nicht rechtfertigen.
Diese Auseinandersetzung zwischen Journalisten, zwischen unterschiedlichen Medien und Verlagen, ist aus meiner Sicht paradigmatisch für die gegenwärtige Medienkrise und die Defizite innerhalb des Qualitätsjournalismus. Seit der Wahl von Donald Trump 2016 stellt sich ein gesamter Berufsstand selber unter Generalverdacht. Statt die Hintergründe zu beleuchten, wie es den Ideologen gelingt, auf Kosten von Wahrheit und Wirklichkeit einen permanenten Narrativ-Erfolg zu verzeichnen, bekämpfen sich die Journalisten untereinander.
Die brennende Meta-Ebene zwischen Journalisten hat ihren Ursprung in den USA und vergiftet nun auch den europäischen Journalismus. Deshalb fehlt an allen Ecken und Enden demokratische, kritische und nachhaltige Berichterstattung, die Herrschaftsverhältnisse nicht nur interpretiert, sondern verändert.
Deshalb zeigen die wirklichkeitsnahen Dokumentationen wie «China Cables», die vor der Weltöffentlichkeit stattgefundene Ermordung von Jamal Khashoggi oder die Einkerkerung von Intellektuellen und Journalisten in der Türkei kaum politische, nationale und globale Wirkung. Es erfolgt ein Aufschrei der Presse und nichts verändert sich. Weil der nächste Skandal vor der Türe steht, weil es einfacher ist, den Berufskollegen als «Ideologen» oder gar «Fälscher» zu entlarven, statt sich mit den wirklich Mächtigen anzulegen.
Der Generalsekretär der UNO warnte zum Jahresauftakt 2020, dass es so nicht weitergehen könne, und ermahnte die politischen Führer, die Unterdrückungspolitiken doch bitte zu unterlassen. Er hätte auch die Journalisten ermahnen können, endlich wieder ihren Job zu machen, statt Twitter-Shitstormmeldungen - wie jüngst die «Umweltsau» - abzusetzen.
Die Storyteller-Taschentricks vieler Journalisten machen möglich, dass Minister selbst bei übelsten Fehlverhalten oder Korruption nicht zurücktreten müssen. Kritik wird an die Politsatire ausgelagert, ohne zu merken, das ein «Haha der Mafia-Minister» nie zu politischer Veränderung führt. Je öfters ideologische Kämpfe medial ausgefochten werden, umso blinder die Flecken tatsächlichen Machtmissbrauchs. So fehlt der öffentliche Druck auf die antidemokratischen, korrupten Politiker.
Dies ist auch die Erklärung dafür, warum der amtierende Präsident Donald Trump selbst bei nachweisbarem Amtsmissbrauch nicht zurücktreten muss. Denn die Story ist nicht die der Ämterkorruption, sondern die der ideologischen Interpretation.
Nun ist die Auseinandersetzung zwischen «Schweizer Journalist» und «Republik» nicht so gewichtig, daraus eine globale Dimension zu zimmern. Doch das Beispiel eignet sich, um zu veranschaulichen, wie das Chaos der überlieferten Tatsachen als Meinungskämpfe statt als politische Berichterstattung ausgefochten wird.
Denn selbst wenn die Reportage aus den USA Fehler aufwies, die Serie ist ein spannendes Stück Qualitätsjournalismus. Statt also die «Republik» mit einem Relotius-Vergleich anzugehen, wäre es dem «Schweizer Journalisten» besser angestanden, die Machtverhältnisse innerhalb der Schweizer Medien zu durchleuchten. Doch dafür müssten Journalisten und Journalistinnen mutig sein, viel arbeiten und recherchieren.