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Mittwoch
23.01.2013

Ein Journalist fährt im Intercity von Zürich nach Bern und wird, ganz zufällig, Zeuge eines Gesprächs seiner Sitznachbarn. So weit, so normal. Doch stellen wir uns vor, es handle sich bei diesen Sitznachbarn um Christoph Blocher und Filippo Leutenegger, die sich im vollbesetzten Zug über Personalien bei der «Basler Zeitung» (BaZ) unterhalten. Würde nun der Journalist unlauter handeln, indem er das Mitgehörte publizierte?

Nein, meint der Schweizer Presserat, der zwei Beschwerden gegen «Den Sonntag» und die «Solothurner Zeitung» abgewiesen hat. Zur Diskussion standen zwei Kurzmeldungen, die sich beide auf im Zug mitgehörte Gespräche bezogen hatten. Einmal ging es im «Sonntag» vom 6. Mai 2012 um besagtes Gespräch zwischen Blocher und Leutenegger, ein andermal in der «Solothurner Zeitung» vom 19. Mai um die Aussage eines Sprechers von Bundesrat Ueli Maurer über Secondos in der Rekrutenschule.

Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstiessen die beiden Zeitungen aus dem Hause AZ Medien damit gegen die Ziffern 4 (Lauterkeit der Recherche) und 7 (Respektierung der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

«Wer in einem Zug mit anderen Passagieren sitzt und zufällig Gespräche von Mipassagieren mithört, ist weder verpflichtet, sich als Journalist vorzustellen, noch ist das passive Mithören als verdeckte Recherche zu werten», argumentiert der Presserat in seiner am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Insofern hätten die Journalisten nicht unlauter gehandelt - zumal der Gesprächszeuge des «Sonntags» kein hauseigener Journalist gewesen sei, sondern via Twitter über das Gespräch informiert habe.

Im Punkt der Verletzung der Privatsphäre (Ziffer 7) hatte der Presserat zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Veröffentlichung von Informationen, die durch Indisktretionen bekannt geworden sind, gegeben waren: «Die Informationsquelle muss dem Medium bekannt sein; das Thema muss von öffentlicher Relevanz sein; es muss gute Gründe dafür geben, dass die Information jetzt und nicht erst viel später publik werden soll», erläutert das Gremium.

Diese Kriterien seien in beiden beanstandeten Fällen erfüllt gewesen: So habe es sich bei den kolportierten Gesprächen nicht um reine Privatangelegenheiten gehandelt, sondern um Informationen «von öffentlicher Relevanz»: «Die Frage, welche Rolle Christoph Blocher bei der `Basler Zeitung` spielt und ob er Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung und die Zusammensetzung der Redaktion nimmt», schliesst der Presserat, «ist seit Längerem Gegenstand einer öffentlichen Kontroverse.»