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Dienstag
14.12.2021

Marketing / PR

«Damit wir da sind, wenn du uns brauchst»: Die Kampagne versuchte aufzuzeigen, was der abstrakte Begriff «Pflegenotstand» in der Praxis bedeutet. (Bild zVg)

«Damit wir da sind, wenn du uns brauchst»: Die Kampagne versuchte aufzuzeigen, was der abstrakte Begriff «Pflegenotstand» in der Praxis bedeutet. (Bild zVg)

Das wuchtige Ja zur Pflegeinitiative ist landauf, landab als «historisch» bezeichnet worden. Die Kampagne dazu stammt von der Agentur Feinheit.

Der Klein Report sprach mit Michael Sorg über die Logik der Pflegekampagne, über die begünstigenden Umstände für den Erfolg an der Urne und über die No-Gos und Must-haves in der politischen Kommunikation. Sorg ist Kommunikationsberater bei Feinheit und war bis vor Kurzem Co-Generalsekretär der SP Schweiz.

Die Kampagne für die Pflegeinitiative hat die Agentur Feinheit zusammen mit dem Initiativkomitee und dem Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) entwickelt. Sie gehörten zum Projektteam. Wie sind Sie konkret vorgegangen?
Michael Sorg: «Im Zentrum stand die Idee: Wir wollen den 200'000 Pflegenden in der Schweiz eine Stimme geben. Die Kampagne sollte zeigen, was der abstrakte Begriff ‚Pflegenotstand‘ in der Praxis bedeutet: Zu wenig Personal auf den einzelnen Schichten, zu wenig Zeit für die Patienten und Patientinnen, zu viel Bürokratie und Leerlauf. Darum war klar: Wenn immer möglich sollen die Pflegenden selbst zu Wort kommen, also die Leute an der Front. Angefangen beim Key-Visual, das wir mit einer echten Pflegefachfrau produziert haben, über Social-Media-Videos bis zu Auftritten im TV oder auf Podien.»

Was waren die speziellen Herausforderungen und möglichen Fallstricke genau dieser Kampagne?
Sorg: «Die grösste Herausforderung für die Kampagne war, die Energie – und auch den Frust – der vielen Pflegenden zu bündeln, zu kanalisieren und für die Kampagne zu nutzen, ohne die Botschaft zu verwässern. Das ist glaube ich sehr gut gelungen. So gab es über hundert lokale Komitees, wo Pflegende – aber auch andere Sympathisanten und Symathisantinnen – sich organisiert und vor Ort für die Pflegeinitiative Kampagne gemacht haben.»

Seit die Pandemie das Gesundheitssystem belastet, ist der Pflegenotstand in aller Mund. Nicht einmal die Gegner der Initiative wagten wirklich zu bestreiten, dass die Pflege in der Schweiz am Anschlag ist. Hand aufs Herz: Inwiefern geht dieser «historisch» genannte Abstimmungserfolgt überhaupt aufs Konto Ihrer Kampagne?
Sorg: «Der Erfolg geht in erster Linie aufs Konto der Pflegenden und des SBK. Unsere Kampagne hat dafür nur die Grundlage gelegt. Aber wären die Pflegenden nicht derart überzeugend und mit Herzblut hinter ihrer Initiative und ihren Anliegen gestanden, hätte die beste Kampagne nichts genützt. Andererseits: Ein Selbstläufer war die Initiative nicht. Man darf nicht vergessen, dass vorher noch nie eine Volksinitiative mit einem in weiterem Sinne gewerkschaftlichen Hintergrund angenommen wurde.»

Ihre Kampagne hat unter anderem auf die Mobilisierung an der Basis gesetzt. Mehrere Tausend Personen sind mit einem Testimonial für ein Ja zur Pflegeinitiative hingestanden, vor Ort haben sich Freiwillige in Lokalkomitees engagiert, wie Sie sagten. Wie wichtig ist die Basis in der Klaviatur der Politkommunikation?
Sorg: «Jede Politkampagne ist darauf angewiesen, dass sie von möglichst vielen Menschen getragen wird. Erst recht, wenn man keine Millionen zur Verfügung hat.»

Die erfolgreichen Initiativen der letzten Jahre waren von der Kampagnenlogik her populistisch geprägte Nein-Kampagnen: gegen Burkas, gegen Minarette, gegen Abzocker oder gegen Zuwanderung. Die Pflegeinitiative dagegen hatte einen positiven Dreh. Wo sehen Sie die wichtigsten Unterschiede zwischen jenen Kampagnen, die eine Sache be-kämpfen, und solchen, die etwas er-kämpfen?
Michael Sorg: «Grundsätzlich ist es einfacher, eine Mehrheit gegen etwas als für etwas zu finden. Nein-Kampagnen haben den Vorteil, dass man keine Lösungsvorschläge aufzeigen muss. Es reicht, den Missstand – sei er real oder konstruiert – immer wieder zu benennen. Bestes Beispiel ist die Burka-Initiative: Niemand findet die Burka toll. Es ging also nur darum, Nein zur Burka zu sagen, auch wenn sich mit einem Verbot überhaupt nichts verbessert. Die Pflegeinitiative war da völlig anders: Sie hat nicht nur den Pflegenotstand als Missstand benannt, sondern auch konkrete Lösungsvorschläge aufgezeigt. Das macht eine Kampagne schwieriger, weil jeder Lösungsvorschlag wieder Widerstände wecken kann.»

Sie sind gut vertraut mit der Mechanik unter der Bundesratskuppel. Noch bis letzten April waren Sie als Co-Generalsekretär für die SP Schweiz tätig. Nun arbeiten Sie als Kampagnenberater bei der Kommunikationsagentur Feinheit. Was sind die markantesten Unterschiede in Ihrer Arbeit, jetzt, wo Sie nicht mehr von der Partei-, sondern von der Agenturseite aus agieren?
Sorg: «Die Unterschiede sind klein. Kampagnen funktionieren vom Prinzip her gleich, egal, ob eine Agentur oder eine Partei sie führt.»

Und wo gibts Unterschiede?
Sorg: «Eine Differenz liegt vielleicht in der Bewertung der Zielerreichung: Als Partei kannst du auch zufrieden sein, wenn du 40 Prozent erreichst, aber dafür 500 Neumitglieder gewinnst oder eine wichtige Debatte anstossen kannst. Als Agentur zählt vor allem der Sieg, also 50,01 Prozent.»

Was ist für Sie ein absolutes No-Go in der politischen Kommunikation?
Sorg: «Zuspitzung ist ok, ja sogar notwendig. Aber Lügen und Unwahrheiten gehen nicht. Und ein absolutes No-Go sind so unterirdische Grüsel-Kampagnen, wie wir sie zum Beispiel im September vom Nein-Komitee zur ‚Ehe für alle‘ sehen mussten.»

Gibt es für Sie ein unumstössliches Must-have jeder Politkampagne?
Sorg: «Glaubwürdigkeit und Authentizät! Anliegen, Absender und Kampagne müssen zueinander passen und glaubwürdig sein. Darum war die Kampagne zur Pflegeinitiative erfolgreich: Die Pflegenden waren mit ihrem Anliegen und ihrer Botschaft absolut glaubwürdig. Der Pflegenotstand ist Realität, das konnte und wollte niemand bestreiten. Darum hat sich letztlich auch gar keine Partei oder Organisation wirklich getraut, gegen die Initiative anzutreten.»