Wie viel Schmerz und Leid kann ein negativer Kommentar bereiten? Für Marc Walder und Michael Ringier kosten drei bis zehn Zeilen Text 573,77 Franken. Ringier und sein CEO Walder fordern nämlich vom Finanz-Blog Inside Paradeplatz 35'000 Franken Genugtuung wegen 61 Kommentaren.
«Zum Richter rennen statt Schreiben», kommentiert dazu der Herausgeber von Inside Paradeplatz, Lukas Hässig, der 2018 mit 30 Prozent der Stimmen zum «Wirtschaftsjournalist des Jahres» gewählt wurde.
Schon damals vor fünf Jahren konnte Michael Ringier sich über diese Wahl nicht freuen. In einer heftigen Kritik verglich er Hässig mit Christian Constantin, dem Präsidenten des FC Sion. Dieser hatte zuvor einen Kritiker physisch angegriffen, wie Hässig schreibt.
Der Ringier-Verleger meinte, der Herausgeber von Inside Paradeplatz würde sich in seinem «Banken Bashing Blog» der «Methode Constantin» bedienen. «Er prügelt – und zwar nicht nur einmal, wie der Sion Präsident – ziemlich regelmässig auf alles ein, was ihm in der Finanzbranche missfällt», schrieb Michael Ringier damals noch.
Heute schreibt der Verleger nicht mehr selbst. Er und seine besten Journalisten lassen dafür schreiben. Bevorzugt von Anwalt Matthias Schwaibold. Das hat auch schon der Klein Report erfahren dürfen – in verschiedenen Verfahren. Eines ist nach wie vor hängig, wobei man beim Klein Report der Sache einmal mehr gelassen entgegensieht.
In Sachen Inside Paradeplatz schreiben Ringiers Rechtsanwälte Rutschmann Schwaibold Partner in einer Klageschrift nun dem Zürcher Handelsgericht, dass Michael Ringier als «Kläger 3» eine «Genugtuung» von 10'000 Franken von Inside Paradeplatz wolle, wegen «Persönlichkeitsverletzung».
Bei CEO Marc Walder sind es 20'000 Franken. Der zum Mitbesitzer aufgestiegene Journalist scheint also ein bisschen sensibler zu sein, wie der Klein Report aus der Differenz des Schmerzensgeldes deutet. Dazu sollen noch 5'000 Franken an den Verlag gehen. Macht pro Kommentar also 573.77, nur subtil abgerundet.
Hinzu könnten aber noch «alle Gebühren und Parteientschädigungen» kommen, wenn sich das Gericht für einen Schuldspruch an Inside Paradeplatz durchringen kann.
Wie Lukas Hässig in seinem Blog schreibt, sind diese Gebühren abhängig vom sogenannten «Streitwert». Im vorliegenden Fall kommen die Kläger aus dem vermögenden Medienhaus auf 190’000 Franken, was «sicher angemessen» sei, wie in der Klage von Anwalt Matthias Schwaibold steht.
«Man könnte auch jede einzelne (der Äusserungen) mit 4’000 CHF taxieren und käme so auf einen Gesamtstreitwert ohne Berücksichtigung der Genugtuungsforderungen von 244’000 CHF», zitiert Inside Paradeplatz weiter aus der Klageschrift von Schwaibold.
Und dies wohlgemerkt nicht für einen Artikel des ausgezeichneten Wirtschaftsjournalisten Lukas Hässig, sondern für 61 Kommentare zu seinen Texten. Und Kommentare sollen ja oftmals die Volksseele spiegeln, hat es noch bis vor Kurzem in der Welt der vierten Gewalt, nämlich dieser der Medien, geheissen.
«Wenn die Kommentare Ringier und Walder derart schmerzten, warum reagierten sie dann erst 10 Monate später? Üblich ist, das sich ein Betroffener sofort meldet. Zudem passt die Empfindlichkeit schlecht zur Ringier-Presse», sagte Lukas Hässig gegenüber dem Klein Report am Samstag.
Stören täten sich Verleger Michael Ringier und CEO Marc Walder auch an den sogenannten «Likes». Damit können andere Leser einzelne Kommentare auszeichnen.
«Dass zahlreiche dieser niveaulosen Kommentare dann auch noch von anderen Lesern mit oft vielen ‚Likes‘ bewertet werden, macht die Sache nicht besser», schreibt Schwaibold.
Kommentare und Likes hätten «schwerwiegende Folgen», folgert er. Demnach klagt der Anwalt: «Die prozessgegenständlichen Kommentare und die dazugehörigen Likes sind die einzige Ursache für die seelische Unbill, welche die drei Kläger erlitten haben.»
Und Rutschmann Schwaibold Partner geben noch einen drauf: «Die Intensität und Qualität der Vorwürfe hat sie psychisch und moralisch getroffen.»
Nach dem Offenlegen einer derartigen Sensibilität im Verlagshaus an der Zürcher Dufourstrasse muss der Klein Report unweigerlich einen ganz anderen Blick werfen auf die moralischen Werte, die dort offenbar herrschen.
Lukas Hässig bedauert in einem nun eigenen Kommentar zu dieser Causa: «Michael Ringier zählt nicht nur zu den Reichsten der Schweiz, sondern als Verleger der führenden Boulevard-Zeitungen des Landes hat er auch grosse Macht. Nun zerrt er ein kleines Medium von den Richter, statt dass er dieses mit Worten kritisiert, wofür Medien da sind. Sie verfügen über das Wort als Schwert. Die Paragraphen könnten sie jenen überlassen, die kein eigenes Forum haben.»
Diesem Verständnis einer Mediendemokratie kann sich der Klein Report nur anschliessen.