Die ehemalige EU-Kommissarin und Gewerkschafterin Monika Wulf-Mathies und WDR-Intendant Tom Buhrow haben am Mittwoch ihren schonungslosen Bericht zu den sexuellen Belästigungen in der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt vorgelegt.
Die Politologin Regula Stämpfli kommentiert für den Klein Report diesen Akt der deutlichen Worte gegen sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch, der auch als Beispiel für Schweizer Medienunternehmen dienen könnte.
Die unabhängige Expertin Monika Wulf-Mathies, die mit ihren 76 Jahren eine bemerkenswerte Karriere als Gewerkschafterin und EU-Kommissarin hingelegt hat, war am Mittwoch in ihrem Fazit vor den Medien deutlich: «Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass das Thema sexuelle Belästigung nur die Spitze des Eisbergs ist, hinter dem sich Machtmissbrauch, vielfältige Diskriminierungserfahrungen und eine Unzufriedenheit mit dem Betriebsklima verbergen.»
Es fehle darüber hinaus «an klaren Regeln und gegenseitiger Wertschätzung», so Wulf-Mathies. Aufgrund dieses Klimas hätten es sich die Frauen gar nicht leisten können, sich bei sexuellen Übergriffen an die Vorgesetzten zu wenden. Nicht zuletzt auch, weil es lange gar keine unabhängige Stelle gab, die für solche Fälle zuständig war. Gerade freie Mitarbeitende, Praktikantinnen und Studentinnen seien besonders starken Abhängigkeitsverhältnissen ausgesetzt, die in der Vergangenheit auch entsprechend ausgenutzt wurden.
Wulf-Mathies fordert deshalb, dass «die Verbesserung des Betriebsklimas zur Chefsache» gemacht werden sollte. Sie schlägt auch eine dauerhafte, externe Anlaufstelle für Betroffene vor. Doch nicht nur dies: Neue umfassende Dienstvereinbarungen sollen getroffen und eine Clearingstelle eingerichtet werden, die alle Beschwerden prüfen kann. Tom Buhrow versprach einen grundlegenden Kulturwandel.
Der WDR ist im deutschsprachigen Raum einer der wenigen Sender, der vom #MeToo-Reformprozess direkt betroffen ist. Aufgedeckt wurden die sexuellen Übergriffe durch eine Zusammenarbeit von «Stern» und dem Rechercheverbund Correctiv.
Es ist auffällig, wie selten #MeToo in den grossen und einflussreichen Medienhäusern thematisiert wird. Wie so oft ist es natürlich einfacher, auf Missbräuche ausserhalb der eigenen Institutionen zu zeigen, als vor der eigenen Haustür zu kehren. Der Bericht von Wulf-Mathies ist deshalb doppelt und dreifach wichtig, weil er ganz bewusst auf das Thema der existierenden Abhängigkeitsverhältnisse, der grossen Macht der Medienanstalten und der Verletzlichkeit der jeweiligen Arbeitsbeziehungen hinweist.
Es wäre zu wünschen, dass sich die Schweiz eine ebenso erfahrene wie unabhängige Expertin leisten würde, die aufgrund von Gesprächen - wie dies Wulf-Mathies getan hat - in allen Medienunternehmen, oder auch in der Bundesverwaltung, eine grundsätzliche Übersicht zur sexuellen Gewalt, Belästigung, sexualisiertem Klima und sexuellen Übergriffen bieten würde.
Denn hier wie dort entscheiden Hierarchie, Macht und ökonomische wie kulturelle Abhängigkeiten über den sexuellen Missbrauch. Es ist höchste Zeit für einen umfassenden Kultur- und Führungswandel.