Erstmals befassten sich Medienleute in der Schweiz eingehend mit den Qualitätssicherungsprozessen in den Redaktionen. An der Tagung des Vereins für Qualität im Journalismus diskutierten am Mittwoch in Winterthur über 100 Interessierte in 15 Workshops über Feedback- und Kritikstrukturen, die im journalistischen Alltag präventiv, begleitend oder nachträglich greifen.
Sie erfuhren beispielsweise, wie man mit Hilfe von Onlinetools Themen plant oder wie man Geschichten kontrolliert. Sie hörten Genaueres über das Fact Checking oder wie man mit Social Media umgehen kann. Sie lernten, was die Merker beim «St. Galler Tagblatt» tun und welche Rolle der Publikumsrat der Deutschschweizer SRG spielt.
Warum das alles wichtig ist, erklärte gegenüber dem Klein Report Professor Vinzenz Wyss vom Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) in Winterthur. Er hatte die Tagung konzipiert. Die Fragen stellte Roger Blum.
Warum sind diese Qualitätssicherungsprozesse wichtig?
Vinzenz Wyss: In diesen kleinteiligen Prozessen findet sich der Kern des Journalismus, in diesem Mikrokosmos repräsentiert sich seine Funktion: Es geht um Briefings, Gegenlesen, Sendungen abnehmen, Feedback geben, Kritik und Selbstkritik üben. Im praktischen Alltag wird das gesteuert, was dann veröffentlicht wird. Das ganze System des Journalismus schwingt da mit.
Gibt es im Schweizer Journalismus eine Unité de doctrine, was die Qualitätsstandards sind?
Wyss: Ich habe den Eindruck, ja. Auch bei der Frage, ob der Journalismus revolutioniert werde durch Social Media, heisst die Antwort immer wieder: Auch dort gelten doch die alten Werte. Und im Zusammenhang mit Social Media greift man regelmässig zu den bewährten Marken wie zum Beispiel zum «Guardian», weil diese zählen. Dass diese alten Werte und die alten Marken weiter Gewicht haben, ist beruhigend. Denn sie geben Antwort auf die Frage, wofür der Journalismus steht.
Ihre empirischen Erhebungen zeigen, dass solche Regeln und Routinen in den Schweizer Medien sehr unterschiedlich verbreitet sind. Am besten schneiden Radio und Fernsehen der SRG ab, in vielen anderen Medien hingegen weiss man wenig davon. Ist dieser Zustand nicht besorgniserregend?
Wyss: Doch, in der Tat. Die Online-Medien haben heute grosse Resonanz. Wenn man aber sieht, dass das genau die Medien sind, die diesen Qualitätssicherungsprozessen wenig Bedeutung beimessen, dann ruft das schon Sorgen hervor. Umgekehrt zeigen die Befunde, dass es sich lohnt, in den öffentlichen Rundfunk zu investieren. Dort nehmen sich die Verantwortlichen Zeit für diese Qualitätskontrollen. Damit setzen sie Benchmarks, Standards. Und es ist halt eben schon so, dass gewisse Standards für alle gelten: Man kann, wenn die Bremsen bei einem Billigauto nicht funktionieren, nicht argumentieren, es sei eben kein Mercedes.
Was hat die Tagung in Winterthur vor allem gezeigt?
Vinzenz Wyss: Sie hat gezeigt, dass es eine grosse Irritation im Umgang mit Social Media gibt. Man weiss nicht recht, was die stärkere Partizipation des Publikums für den Journalismus bedeutet. Aber da liegt auch eine Chance: Social Media verantwortungsbewusst einbeziehen, ohne die wichtige Rolle des Journalismus aufzugeben. Man wird erst in zehn bis zwanzig Jahren sehen, was sich als brauchbar erweist.
Donnerstag
04.11.2010




