Das Medienmanagement mache Denkfehler, denn es verkenne, dass die Kosten der redaktionellen Selbstkritik gar nicht so hoch seien. Dies sagt Stephan Russ-Mohl, Professor für Journalismus und Medienmanagement an der Universität Lugano. Er berichtete in einer Vorlesung über seine Forschung, die er als Gutenberg-Fellow der Universität Mainz der Frage gewidmet hatte, inwiefern Medien über ihr Tun Rechenschaft ablegen.
Roger Blum, auch Professor, der vorübergehend in die Rolle des kritischen Befragers geschlüpft ist, hat Russ-Mohl für den Klein Report interviewt.
Unter dem Stichwort Media Accountability fassen Sie Einrichtungen wie eine Korrekturspalte, Ombudsleute und Presseräte sowie eine kritische Medienberichterstattung zusammen. Warum sind diese Einrichtungen Ihrer Meinung nach wichtig?
Stephan Russ-Mohl: «Vor allem, weil die Medien sehr mächtig sind in demokratischen Gesellschaften. Zu den elementaren Gesetzen der Demokratie gehören die Gewaltenteilung und die Machtkontrolle, und da sollten die Medien bereit sein, durch Selbstkontrolle dazu beizutragen, dass ihre Leistungen und Fehlleistungen kritisch überprüft werden.»
Das Argument der Medienunternehmen, dass das alles zu teuer und nicht wichtig genug sei, ist aber schwer zu widerlegen.
Russ-Mohl: «Dass es zu teuer sei, ist ein gravierendes Argument in einer Zeit, in der das Publikum immer weniger bereit ist, für Medienleistungen zu zahlen. Aber ob man diese Einrichtungen schafft, ist vor allem eine Frage des Wollens. Die Kosten sind gar nicht so hoch: Die Korrekturspalte braucht keine neuen Investitionen, Presseräte und Ombudsleute arbeiten in der Regel nebenamtlich und Medienjournalismus ist auch durch geschickte Aufgabenumverteilung möglich. Ich hege aber Zweifel, ob Verleger und Chefredaktoren die Media Accountability wirklich wollen.»
Sie würden sie wohl wollen, wenn sie ihnen ökonomisch einleuchtet. Was ist denn das ökonomische Argument für die Media Accountability?
Stephan Russ-Mohl: «Eben, dass es wirklich nicht viel kostet. Und es erhöht die Glaubwürdigkeit. Wird sichtbar gemacht, dass die Qualität laufend überprüft wird, wird auch das Publikum qualitätsbewusst. Und ein qualitätsbewusstes Publikum ist auch bereit, wieder mehr für Journalismus zu bezahlen. Heute ist das Publikum zu wenig aufgeklärt darüber, was seriös recherchierte Information wirklich kostet.»
Sie haben untersucht, wie die Amerikaner, die Briten, die Italiener, die Deutschen und die Schweizer mit der Media Accountability umgehen. Und da gibt es erhebliche Unterschiede: Viel Bereitschaft dazu in den USA, überhaupt keine in Italien, die anderen Länder im Mittelfeld. Warum diese Unterschiede?
Russ-Mohl: «Das hat viel mit Geschichte, Tradition, Religion zu tun. Für den Ökonomen ist spannend, dass man einiges am Herdentrieb festmachen kann: Geht ein führendes Medienhaus als Cheerleader voraus, folgen viele andere: So hat die `New York Times` mit der Korrekturspalte und der Ombudsmann-Idee in den USA beispielgebend gewirkt.»
In der Schweiz haben Kurt Imhof und sein Team mit dem Jahrbuch «Qualität der Medien» jetzt schon zum dritten Mal der Branche den Spiegel vorgehalten. Wie erklären Sie sich, dass die Medien eigentlich nichts davon wissen wollen?
Stephan Russ-Mohl: «Es fällt auf, dass sich die Medien im ersten Jahr noch relativ differenziert mit diesen Forschungsergebnissen auseinandergesetzt haben. Im zweiten Jahr waren aber Skandalisierung und Polemik an der Tagesordnung, und jetzt, im dritten Jahr, reagiert man mit Nonreporting, mit Beschweigen. Bei den Mächtigsten der Branche, bei Tamedia und bei Ringier, fehlt auch die journalistische Kompetenz, sich mit Medien auseinanderzusetzen, denn es gibt keinen kontinuierlichen Medienjournalismus. Es ist möglich, dass sich viele Chefredaktoren nicht aufs Abenteuer einlassen wollen, sich der öffentlichen Kritik zu stellen. Die zentrale Frage ist eben, warum die Medienberichterstattung abgeschafft wurde, obwohl die Medien als Beobachter und eben auch als Beobachtungsgegenstand doch enorm wichtig sind: Was wir wissen, wissen wir aus den Medien.»
Es wird immer wieder argumentiert, das interessiere das Publikum nicht wirklich.
Russ-Mohl: «Woher weiss man das? Man hat es ja nie untersucht.»
Immer mehr erweist sich das Internet als Ort der Medienkritik, wo in Blogs und über Social Media auf Medien reagiert wird. Welche Rolle messen Sie dem Netz bei im Zusammenhang mit Media Accountability?
Stephan Russ-Mohl: «Das Netz kann ein ganz wichtiges Korrektiv werden. Die etablierten Medien müssen aufpassen, dass ihnen nicht alles entgleitet. Ihre Journalisten beschweigen den Themenbereich Medien und Journalismus und wundern sich dann über Shitstorms wegen Medienthemen. Sie sollten sich bewusst sein, dass sie in dem Spiel selber eine Rolle zu spielen haben. Da können sie viel Glaubwürdigkeit gewinnen.»