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Dienstag
30.08.2022

Medien / Publizistik

«Es schwieriger geworden, an die interessanten Leute in Politik und Wirtschaft heranzukommen. Sie werden von ganzen PR-Prätorianergarden abgeschirmt», sagt Ex-NZZ-Reporter Martin Beglinger. (Foto zVg / © Nathalie Taiana NZZ)

«Es schwieriger geworden, an die interessanten Leute in Politik und Wirtschaft heranzukommen. Sie werden von ganzen PR-Prätorianergarden abgeschirmt», sagt Ex-NZZ-Reporter Martin Beglinger. (Foto zVg / © Nathalie Taiana NZZ)

Der langjährige Tamedia- und NZZ-Journalist Martin Beglinger hatte Ende Juni seinen letzten Arbeitstag an der Falkenstrasse.

Im Gespräch mit dem Klein Report blickt er zurück und spricht davon, worin sich die NZZ und Tamedia unterscheiden, wie es weitergeht mit dem NZZ-Reporterteam nach seinem Abgang und wie sich Magdalena Martullo einmal bei CR Eric Gujer über ihn beschwert hat. 

Sie haben sich Ende Juni mit 62 Jahren pensionieren lassen. Wie kam es zu dem Entscheid?
Martin Beglinger
: «Der Entscheid ist im Homeoffice während den beiden Coronajahren gereift. Nach 37 Jahren als Reporter habe ich realisiert, dass mich auch noch vieles andere ausserhalb des Journalismus interessiert. Mein Seelenheil hängt zum Glück nicht mehr davon ab, dass mein Name möglichst oft in der Zeitung steht.»

Wie schauen Sie auf Ihre Zeit bei der NZZ zurück? Was war für Sie die spannendste Geschichte und weshalb?
Beglinger: «Ich schaue mit sehr guten Gefühlen auf diese sieben Jahre zurück. Zunächst kam die Neulancierung des Magazins ‚NZZ Geschichte‘, das ich zusammen mit meinem langjährigen Kollegen Peer Teuwsen gründen durfte. Eine solche Chance hat man selten, und ich meine, wir haben sie genutzt. Dieses Kapitel gehört deshalb zu den schönsten Erfahrungen in meinem Berufsleben.»

Wie kam es, dass Sie in die Redaktion der Tageszeitung wechselten?
Martin Beglinger: «Die Anfrage, zum Hauptblatt zu wechseln, kam für mich eher überraschend, weil ich seit meinem Volontariat beim Tagi im Jahr 1986 nie mehr für eine Tageszeitung, sondern immer für Wochentitel gearbeitet hatte. Aber auch das war eine tolle Erfahrung. Gute Tageszeitungen sind inzwischen tägliche Wochenzeitungen.»

Welche Geschichte in diesen Jahren hat Ihnen und der NZZ am meisten Ärger eingebracht?
Beglinger: «Na ja, der Ärger hielt sich in Grenzen. Aber es hat mich zum Beispiel genervt, dass sich Magdalena Martullo, die ich für die NZZ porträtieren wollte, trotz einem halben Dutzend Anfragen standhaft geweigert hat, mich auch nur ein einziges Mal zu treffen, obwohl ich noch nie ein (negatives) Wort über sie geschrieben hatte. Stattdessen hat sie sich bei Chefredaktor Eric Gujer über mich beschwert, dass ihr ein NZZ-Journalist hinterher schnüffle und er das sofort abstellen solle. Was er nicht gemacht hat. Das Porträt habe ich schliesslich ohne direkten Kontakt mit ihr geschrieben, was allerdings nur halb so interessant ist.»

Was sagt Ihnen dieses Beispiel über die heutige Lage des Journalismus?
Martin Beglinger: «Das Beispiel zeigt, wie es in den letzten Jahren schwieriger geworden ist, als Journalist an die interessanten Leute in Politik und Wirtschaft heranzukommen. Sie werden von ganzen PR-Prätorianergarden abgeschirmt und gewähren höchstens noch Zugang, wenn sie die totale Kontrolle behalten.»

Und welche Geschichte hat Sie am meisten gefreut oder Ihnen Spass gemacht?
Beglinger: «Das war sicher die Geschichte über die Beschattungsaffäre Khan, die schliesslich den Sturz von CS-Chef Thiam ausgelöst hat. Für mich war das eine ziemlich neue, aber grossartige Erfahrung, weil wir diese Recherche zu dritt angepackt haben, gemeinsam mit Zoé Baches und Ermes Gallarotti. Als Reporter war ich bislang meistens ein Einzelkämpfer, aber diese Geschichte, die wir dann in eine dreiteilige Serie verpackt haben, hätte so kaum jemand von uns allein hingekriegt. Zudem ist die Credit Suisse gerade für die NZZ nicht irgendeine Bank, sondern Bank und Zeitung standen sich traditionell nahe. Umso genauer mussten wir arbeiten. Wie wir dabei stets die Rückendeckung durch die Chefredaktion und überhaupt durch das ganze Haus hatten, auch das war eine eindrückliche Erfahrung.»

Wenn wir den Gelderwerb mal weglassen: Was ist es genau, dass Sie dem Journalismus ein Berufsleben lang treu geblieben sind?
Martin Beglinger: «Spannung, Abwechslung, sich immer wieder mit neuen Leuten und Themen beschäftigen. Ich hatte das Privileg, meistens über Themen zu schreiben, die mich selber wirklich interessierten. Mühe hatte ich hingegen beim Gefühl, ich würde mich zu wiederholen beginnen.»

Seit 2015 arbeiten Sie für die NZZ, seit 2018 als Reporter und Autor für alle Ressorts. Wer ist nach Ihrem Abgang noch im Reporterteam?
Beglinger: «Das sind weiterhin Anja Jardine und Marcel Gyr. Meinen Posten hat Michael Schilliger übernommen.»

Man sieht Sie öfters unterwegs auf den Strassen von Zürich. Durch Ihre frühzeitige Pensionierung verliert die NZZ einen Mann an der Reporterfront, wo die Zeitung sowieso nicht übermässig ausgestattet ist. Wie wird die Lücke, die Sie hinterlassen, wieder gefüllt werden?
Martin Beglinger: «Da mache ich mir keine Sorgen. In der NZZ gibt es eine ganze Reihe junger wie bewährter Leute, die regelmässig sehr gute Reportagen schreiben, auch wenn sie im Impressum nicht als Reporter, sondern als Korrespondentin oder Redaktor aufgeführt werden.»

Zurzeit laufen die Untersuchungen in der Affäre zur Krypto AG durch Sonderermittler Peter Marti. Hier ist auch NZZ-Reporter Marcel Gyr befragt worden. Wurden Sie auch befragt?
Beglinger: «Ich war an dieser Recherche von Marcel Gyr nicht beteiligt und bin deshalb auch nie befragt worden. Selber habe ich mich mehr mit der Kryptogeldkarriere des kurdischen Flüchtlings Dadvan Yousuf beschäftigt.»

Bevor Sie 2015 an die Falkenstrasse wechselten, arbeiteten Sie während 15 Jahren für Tamedia, unter anderem als Stv. Chefredaktor des «Magazins». Was sind für Sie aus der Innenperspektive die markantesten Unterschiede zwischen den beiden Zürcher Medienhäusern?
Martin Beglinger: «Mein Eindruck ist, dass Tamedia schon früh viel stärker hierarchisiert war und die Redaktionen dort unter höherem Kostendruck standen als bei der NZZ. Zwar ist man auch an der Falkenstrasse längstens sehr kostenbewusst, aber man spürt trotzdem, dass die NZZ voll auf Journalismus setzt, während die Publizistik innerhalb der TX Group nur noch ein schwindender Teil in diesem digitalen Mischkonzern ist. Man vergleiche bloss den riesigen Unterschied zwischen den Korrespondentennetzen der beiden Häuser.»

Gibt es auch Gemeinsamkeiten, die Sie persönlich erstaunt haben?
Beglinger: «Die Klickwirtschaft hat überall Einzug gehalten, aber erstaunlich ist das ja nicht wirklich.»

Haben Sie schon Pläne für die kommende Zeit? Wird man noch von Ihnen hören – also lesen?
Martin Beglinger: «Ich bin zunächst einmal zuständig für den Haushalt, was hoffentlich nicht nur ein Plan ist, sondern Realität. Aber ich werde künftig sicher auch wieder die eine oder andere Geschichte schreiben, die mir am Herzen liegt, namentlich für die NZZ, der ich mich weiterhin verbunden fühle.»