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Sonntag
05.11.2023

Medien / Publizistik

«Wir stehen hin, wenn wir in gutem Licht dastehen können, und schweigen zu kritischen Fragen», beschreibt investigativ.ch-Co-Präsident Marc Meschenmoser die Haltung der Behörden im Bundeshaus...   (Bild Screenshot Video)

«Wir stehen hin, wenn wir in gutem Licht dastehen können, und schweigen zu kritischen Fragen», beschreibt investigativ.ch-Co-Präsident Marc Meschenmoser die Haltung der Behörden im Bundeshaus... (Bild Screenshot Video)

Mit überwältigendem Mehr haben die Mitglieder von investigativ.ch in dieser Woche entschieden, den Goldenen Bremsklotz 2023 an Finanzministerin Karin Keller-Sutter zu vergeben.

Der Klein Report sprach mit Marc Meschenmoser, Co-Präsident von investigativ.ch, über die Geheimnistuerei des Bundesrats rund um den CS-Deal, die Stossrichtung des Schmähpreises und die Eitelkeiten in den Kommunikationsabteilungen der Bundesbehörden. Meschenmoser ist Redaktionsleiter von «K-Tipp» und «saldo», wo er auch das Rechercheteam leitet.

Wie sind die Reaktionen auf die Verleihung des Goldenen Bremsklotzes 2023, zum Beispiel in den sozialen Medien?
Marc Meschenmoser: «Die Verleihung des Goldenen Bremsklotzes hat medial für ein breites Echo gesorgt und einen Nerv in der Bevölkerung getroffen. Dies zeigen zahlreiche Reaktionen von Bürgerinnen, die bei uns eingingen.»

Dies ist ganz in ihrem Sinne?
Meschenmoser
: «Absolut, ja. Investigativ.ch möchte eine breite Debatte lancieren: Was sind die Folgen, wenn eine Regierung dann, wenn es kritisch wird, Recherchejournalisten den Zugang zu öffentlichen Dokumenten versperrt? Was passiert mit dem Vertrauen der Bevölkerung, wenn diese nicht mehr transparent informiert werden kann? Dies geschah jüngst mit dem 209 Milliarden-Kredit für die CS.» 

Haben Sie noch ein anderes einschlägiges Beispiel parat?
Marc Meschenmoser
: «Bereits 2022 griff der Bundesrat kurzerhand zu einer Notverordnung für die Rettung des öffentlichen Stromversorgers Axpo. Wir haben damals für ‚K-Tipp‘ die Dokumente beim Eidgenössischen Öffentlichkeitsbeauftragten (EdöB) herausverlangt und erhielten nach monatelangem juristischen Seilziehen praktisch nur vollkommen geschwärzte Seiten. Der Bund erklärte alles zur Geheimsache.»

Wie ein Video zeigt, haben Sie persönlich versucht, den Bremsklotz der Gewinnerin Bundesrätin Karin Keller-Sutter zu übergeben. Sie drangen bis zur Sicherheitsschleuse vor, wo der Bremsklotz in Empfang genommen und geröngt wurde. Wie kam es zum Ausflug ins Bundeshaus?
Meschenmoser
: «Frau Keller-Sutter war eingeladen für unsere öffentliche Übergabe des goldenen Bremsklotzes in Zürich diese Woche. Diese Einladung hat sie bedauerlicherweise abgelehnt – auch aus ‚inhaltlichen Gründen‘. Ihre Begründung: Der Gesamtbundesrat habe zur Notverordnung gegriffen, also die Geheimhaltung des CS-Deals beschlossen. Die Finanzministerin versteckte sich hinter dem Kollegium. Da die Preisträgerin den Preis nicht persönlich in Empfang nehmen wollte, reiste halt der Goldene Bremsklotz nach Bern, zur Preisträgerin. Die Sicherheitskräfte des Bundeshauses übrigens waren sehr freundlich.»

Die Online-Abstimmung fiel in diesem Jahr sehr deutlich aus. Neben der Finanzministerin Karin Keller-Sutter hätten auch noch die Migros und der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr zur Wahl gestanden. Hat Sie das eindeutige Ergebnis überrascht?
Marc Meschenmoser
: «Die Wahl unserer über 350 Mitglieder fiel eindeutig zugunsten von Bundesrätin Karin Keller-Sutter aus. Es war offensichtlich jenes Thema, das für die absolute Mehrheit der Investigativjournalisten und -journalistinnen am bedeutsamsten ist. Der Bund als Dunkelkammer, wenn Grosskonzerne in Not mit öffentlichen Geldern gerettet werden...»

Wie hat die Kommunikationsabteilung des Eidgenössischen Finanzdepartements, die seit Mai von Ex-NZZ- und CH-Media-Journalist Pascal Hollenstein geleitet wird, auf die Verleihung des Schmähpreises an die Hausherrin reagiert?
Meschenmoser
: «Ich würde es nicht an der Person festmachen; ich schätze Pascal Hollenstein als Journalisten. Eine Reaktion war: Wenn wir als Eidgenössisches Finanzdepartement für ein Interview oder das Video von investigativ.ch nicht hinstehen und kritische Fragen beantworten, dann wird es auch kein solches Video geben. Dies scheint eine weit verbreitete Haltung in der Bundesverwaltung zu sein. Wir stehen hin, wenn wir in gutem Licht dastehen können, und schweigen zu kritischen Fragen. Das sollte uns Journalisten und Journalistinnen zu denken geben.»

Hat Sie überrascht, dass Karin Keller-Suter zu keiner Stellungnahme im Zusammenhang mit der Preisübergabe bereit war?
Marc Meschenmoser
: «Überrascht nicht. Aber man darf sich fragen: Warum eine Bundesrätin, die mit 209 Milliarden Steuergeldern hantiert, also Geld von uns allen, sich nicht verpflichtet fühlt, mehr Transparenz herzustellen?»

Weite Teile der Akten rund um die CS-Übernahme durch die UBS und die staatlichen Liquiditätshilfen und Ausfallgarantien hat der Bundesrat zur Verschlusssache gemacht. Er argumentiert unter anderem damit, den Deal nicht gefährden zu wollen. Was halten Sie davon?
Meschenmoser
: «Dieses Vorgehen ist staatspolitisch sehr bedenklich. Es ist unverständlich, weil das Öffentlichkeitsgesetz bereits ausreichende Schutzmechanismen auch für diese ausserordentliche Situation geboten hätte. Wir von investigativ.ch finden: Eine solche Geheimhaltungspolitik gefährdet das Vertrauen in die Regierung – insbesondere in einer Zeit, in der Vertrauen von zentraler Bedeutung wäre.»