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Dienstag
12.09.2023

Medien / Publizistik

«Jans Chefredakteur Peter Bardy sagte mir einmal, dass Jan kein Held war, in dem Sinne, dass er nicht sterben wollte.» (Bild Wikipedia)

«Jans Chefredakteur Peter Bardy sagte mir einmal, dass Jan kein Held war, in dem Sinne, dass er nicht sterben wollte.» (Bild Wikipedia)

Als 2018 der Mord an dem Journalisten Jan Kuciak die politische Landschaft der Slowakei ins Wanken brachte, ging auch ein kräftiger Ruck durch die Medienbranche.

Im Teil zwei des grossen Interviews mit Lukáš Diko spricht der Leiter des Investigative Center of Jan Kuciak (ICJK) über investigative Journalisten, die plötzlich begannen, zusammen statt gegeneinander zu arbeiten, von Jugendlichen, die plötzlich alle Medienschaffende werden wollten, und darüber, wieso Jan Kuciak zwar ein exzellenter Journalist, aber kein Held war.

Das Gespräch führte Sebastian Gehr für den Klein Report.

Das soll nicht zynisch klingen: Aber ist es den Mördern gelungen, Jans Nachforschungen zu verhindern, oder gab es jemanden, der die Nachforschungen zu Ende bringen konnte? 
Lukáš Diko
: «Der Mord an zwei jungen Menschen kann nichts Positives an sich haben. Aber eines der Ergebnisse nach dem Mord war, dass investigative Journalistinnen und Journalisten in der Slowakei begannen, eng zusammenzuarbeiten, obwohl sie für konkurrierende Medienunternehmen arbeiten. Das ist etwas ganz Besonderes in einem so wettbewerbsorientierten Umfeld wie dem des Journalismus. Die Zusammenarbeit hat nicht nur das Vermächtnis von Jan unterstützt und zu besseren Ermittlungsergebnissen geführt, sondern auch dazu beigetragen, dass sich die Journalistinnen und Journalisten bei der Arbeit in grösseren Gruppen sicherer fühlen.»

Können Sie das noch etwas konkretisieren?
Diko: «Das ICJK hat in Zusammenarbeit mit der internationalen Organisation für investigative Reporter OCCRP, insbesondere dank meiner Kollegen, Jans Freundin Pavla Holcová vom tschechischen Zentrum investigace.cz und meinem Vorgänger beim ICJK, Arpad Soltesz, das Projekt ‚Kocners Bibliothek‘ gestartet. Auf der Grundlage der gesamten Ermittlungsakte zum Mord an Jan und Martina Kusnirova hat eine Gruppe von investigativen Journalistinnen und Journalisten aus fast allen slowakischen Medien viele Fälle von Korruption und unrechtmässigen Handlungen auf höchster Ebene aufgedeckt.»

Jeder Mord ist einer zu viel, Sie haben es gesagt. Wie ist die Entwicklung in dieser Kategorie? Gab es in der Vergangenheit mehr oder weniger Journalistenmorde in Europa?
Lukáš Diko: «In letzter Zeit gab es vier Morde an investigativen Journalistinnen und Journalisten in Europa. Und wir haben den Eindruck, dass das Umfeld für Journalisten und die freie Presse immer feindlicher wird. Wir sehen, wie die Regierungen gegen die Medienfreiheit vorgehen, zum Beispiel in Ungarn und Polen, aber auch, dass die Zahl der physischen Angriffe auf Journalistinnen bei den Protesten während der Covid-Pandemie zunimmt, und wir können die alarmierende Situation bei den Angriffen auf die sozialen Medien deutlich erkennen. Wir sind auch mit der Krise der Wahrheit konfrontiert, da Desinformation und Propaganda zunehmen, vor allem im Zusammenhang mit der russischen Aggression in der Ukraine, aber auch mit anderen Themen. All dies wirkt sich auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Medien aus, und wenn jemand einen Angriff auf die demokratischen Werte und die Freiheit inszeniert hätte, dann wäre dies nicht anders möglich gewesen als durch Angriffe auf freie Medien und die Verbreitung von Propaganda und Desinformation.»

Diesen Sommer haben Sie in Berlin im Namen von Jan Kuciak den Freiheitspreis der Medienvereinigung Freie Presse (MVFP) erhalten, den Sie dem investigativen Journalismus gewidmet haben. Sie haben berichtet, dass es in der Slowakei nach Jans Ermordung einen grösseren Berufswunsch gab als je, als investigativer Journalist zu arbeiten. Wird sich dieser Trend fortsetzen?
Diko: «Zunächst einmal möchte ich sagen, dass wir bei ICJK sehr dankbar sind für den Preis und das Bewusstsein, das er für Jans Fall und sein Vermächtnis schafft. Wie ich bereits erwähnte, unterstützte die Öffentlichkeit nach dem Mord Journalisten und es herrschte die Stimmung, dass fast jeder ein investigativer Journalist sein wollte. Aber seit diesen Tagen sind mehr als fünf Jahre vergangen, und mit Covid, dem Krieg in der Ukraine und den innenpolitischen Krisen haben sich die Stimmung und das Umfeld verändert. Ein grosser Teil der Öffentlichkeit unterstützt die Journalistinnen nicht mehr und ist mehr mit seinen eigenen täglichen Problemen beschäftigt. Es gibt auch eine grosse Gruppe von Menschen, die von Politikern wie Robert Fico oder dem ehemaligen Premierminister Igor Matovic beeinflusst werden, die den Journalisten gegenüber feindlich eingestellt sind. Und wir spüren auch den Mangel an investigativen Journalistinnen, denn nach unseren Schätzungen gibt es in der Slowakei nur ungefähr zehn echte investigative Journalistinnen und Journalisten.»

Welche Rolle spielt dabei das von Ihnen geleitete ICJK?
Lukáš Diko: «Wir im Investigativzentrum von Jan Kuciak haben uns für die Ermittlungen, aber auch für die Bewahrung von Jans Erbe, den Schutz der Journalisten und Journalisten und die Pressefreiheit eingesetzt. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen, die als Enthüllungsjournalistinnen und -journalisten in anderen Medien tätig sind, arbeiten wir an einer Reihe von Enthüllungsprojekten und versuchen, so viel wie möglich herauszufinden.»

Sowohl Politiker als auch Journalisten haben in vielen Ländern derzeit einen schlechten Ruf. Was könnte der Journalismus ändern, um eine höhere Wertschätzung zu erhalten?
Diko: «Der Journalismus muss sich an seine professionellen und ethischen Regeln halten, denn dadurch unterscheidet er sich von den Falschmeldungen, Fehlinformationen und Desinformationen der alternativen Medien. Der Journalismus muss nach der Wahrheit suchen, denn das ist seine wichtigste Verpflichtung gegenüber der Öffentlichkeit. Aber, wie ich in meiner Dankesrede in Berlin sagte, als ich den Preis für Pressefreiheit von der MVFP erhielt: Wir leben in sehr komplizierten Zeiten. Wir sind mit aufeinanderfolgenden Krisen konfrontiert, die unser Leben tiefgreifend beeinflussen – einige davon sind sichtbar, andere verborgen, aber auch gefährlich für unsere Werte. Ein grausamer Krieg findet direkt vor unserer Haustür statt. Die Ukrainer, die unprovozierten Angriffen ausgesetzt sind, verteidigen ihr Leben und auch ihre Werte. Und... Es gibt auch einen Krieg in unseren Häusern, wenn auch einen versteckten. Der Krieg um die Wahrheit. Überall auf der Welt sind Journalistinnen und Journalisten mit unprovozierten Aggressionen, Angriffen und Einschüchterungen konfrontiert. Diejenigen, die versuchen, die Pressefreiheit zu stehlen, versuchen, uns die Demokratie und ihre Werte zu stehlen.»

Ist Jan Kuciak für Sie ein Held?
Lukáš Diko: «Jans Chefredakteur Peter Bardy sagte mir einmal, dass Jan kein Held war, in dem Sinne, dass er nicht sterben wollte. Er wollte nur die Arbeit tun, die er liebte. Und er wurde sinnlos ermordet, weil er seinen Job als investigativer Journalist mit aussergewöhnlicher Exzellenz gemacht hat. Tatsächlich wurde er ermordet, weil er auf der Suche nach der Wahrheit war, zum Wohle der gesamten Gesellschaft. Jan war vielleicht kein Held, aber er ist ein Symbol für den Kampf um die Wahrheit.»

Welche Länder würden Sie als sicher für investigativen Journalismus ansehen, oder macht diese Frage keinen Sinn, weil es einen Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit von investigativem Journalismus und einem gefährlicheren Arbeitsumfeld gibt?
Diko: «Wie wir in den letzten Jahren feststellen konnten, gibt es keinen sicheren Ort für investigative Journalisten. Die Angriffe auf Journalistinnen haben zugenommen. In unserer vor einigen Monaten durchgeführten Umfrage berichteten 66 Prozent der 400 teilnehmenden Journalistinnen und Journalisten in der Slowakei, dass sie in den letzten zwölf Monaten angegriffen und belästigt wurden. Wenn wir nur die weiblichen Journalistinnen betrachten, ist die Situation noch viel schlimmer. 

Sehen Sie Möglichkeiten, die Situation zu verbessern?
Lukáš Diko: «Wir müssen neue Systeme zum Schutz von Journalisten auf internationaler und staatlicher Ebene, aber auch auf unabhängiger Ebene einführen. Aus diesem Grund haben wir bei ICJK eine Plattform zum Schutz und zur Überwachung von Angriffen auf Journalistinnen in der Slowakei eingerichtet, die bedrohte Journalistinnen und Journalisten unterstützt. Aber im Allgemeinen müssen wir die Risiken des investigativen Journalismus in Betracht ziehen, vorbereitet sein und zusammenarbeiten, nicht nur im Inland, sondern auch international, da die internationale investigative Zusammenarbeit grosse Strukturen aufdecken kann, welche Kriminellen und korrupten Beamten auf der ganzen Welt helfen, wie wir in den Panama Papers oder anderen ähnlichen Projekten gesehen haben.»