Die Piazza Grande in Locarno zog die Massen an - trotz nassen Begeleitumständen an den ersten Tagen (bis Sonntag, 7. August). Über die Aufführungsstätten hingegen muss man mehr als einmal den Kopf schütteln. Einige Vorstellungen der Minelli-Werke im Ex-Kino Rex waren schwach besucht, der Kinosaal also halb leer, während andere Filme, etwa im Rahmen der Semaine de la critique, aus allen Nähten platzten und Leute draussen bleiben mussten. So geschehen beim Dokumentarfilm «Messies - ein schönes Chaos» von Ulrich Grossenbacher. Selbst bei der dritten Aufführung im Rialto mussten Besucher zurückgewiesen werden.
Überhaupt erfreuten sich die Filme der Semaine de la critique (Filmkritikerwoche) grosser Beliebtheit. Die zwei Aufführungen (Kursaal und L`altra Sala) der sieben Filme besuchten jeweils zwischen 700 und 1000 Leute. Besonderes Interesse weckte der «Messie»-Film, in dem drei sehr unterschiedliche, kompromisslose Sammler ins Bild gerückt werden - ein Bauer im Bernbiet, eine Zeitungs- und Kassettenhüterin und ein besessener Tüftler, der mehrere Scheunen und das eigene Haus mit Schrott, Geräten, Schlössern und Tausenden anderen Sachen füllt. Die betont sachlichen «Messie»-Porträts wurden mit dem Filmkritikerpreis ausgezeichnet. Der Film wird auch am Zurich Film Festival (22.9. bis 2.10.) gezeigt.
Eine lobende Erwähnung der Semaine-Jury erhielt die japanische Musikreise von der Vergangenheit in die Gegenwart, «Sketches of Myahk» von Koichi Onishi. Auf der Piazza-Bühne wurde er mit dem Tessiner Preis (Premio Cinema Ticino) geehrt: Villi Hermann. Doch sein neuster Film «Gotthard Schuh», «Una visione sensuale del mondo» des Tessiners (ursprünglich aus Luzern) wurde ins kleinste Kino Locarnos, das Rialto, gesteckt. Eine Welturaufführung vor nur 100 (!) Besuchern, die eingelassen wurden.
«So behandelt Locarno die einheimischen Filmer», kritisierte Hermann gegenüber Klein-Report-Korrespondent Rolf Breiner die Situation. Zurecht - eine Schande. Dass die Festivalleitung lieber Augenwischerei betreibt, zeigen auch die Printprodukte: Die täglichen Hochglanzmagazine «Pardo Live» sind schön anzusehen, indes der Festivalkatalog im Format der Solothurner Filmtage fällt nach eifrigem Gebrauch auseinander. Zudem sind die inhaltlichen Informationen dürftig bis unzulänglich. Ein bisschen mehr Sorgfalt wäre hier wirklich mehr, andersherum wären weniger Sektionen und Preise (angesichts der Karrierepreise) auch mehr.