Der Festival-Wettbewerb neigt sich dem Ende zu. Am Samstagabend werden auf der Piazza Grande die Leoparden und andere Auszeichnungen verliehen. Die Spannweite der Wettbewerbsfilme ist äusserst ausladend. Auffallend viele Werke sind in Sprache und Bild reduziert, neigen zu Extremen und spiegeln im Privaten meistens auch gesellschaftliche Befindlichkeiten und Verhältnisse wieder.
Eine unendliche Langsamkeit zelebrierte der türkische Beitrag «Saç» (Haar) von Tayfun Pirselimoğlu. Hamdi, ein todkranker Mann, der Perücken anbietet, wird von einer Frau aufgesucht, die ihm ihr langes schwarzes Haar anbietet und verkauft. Er stellt ihr, Meryem, nach, will sie für sich gewinnen und räumt ihren Ehemann aus dem Weg. Eine einseitige Liebesgeschichte, die fast ohne Worte und Musik auskommt (nur eine Samba-Kassette aus dem Land seiner Träume Brasilien, ist bisweilen zu hören). Das Kammerspiel um unerfüllte Sehnsüchte wird zum Sinnbild defekter, desolater und desperater Kommunikation.
Stillstand herrscht im chinesischen Spielfilm «Han jia» (Winterferien). Stumm sitzen Grossvater und Enkel nebeneinander. Der Junge behauptet, er will mal Waisenkind werden. Der alte Mann ist nutzlos geworden. Abstrus und absonderlich scheinen die Szenen in einem nordchinesischen Dorf. Menschen werden wie am Fliessband geschieden. Jugendliche führen Gespräche über Teenager-Verhältnisse, triste Lebensentwürfe und nutzlose Schulbildung. Karge Bilder, spärliche Dialoge, Tristesse am letzten Ferientag. Diese Filmreduktion erinnert an Buster Keaton und Aki Kaurismäki, kann durchaus als Spiegelung gesellschaftlichen Stillstands und Hoffnungslosigkeit in China gedeutet werden. Dies sind nur zwei Beispiele aus dem Wettbewerb, die mit ihrer schroffen Kargheit, kümmerlichen Kommunikation und drastischen Reduktion gegenüber der dröhnenden Kinowelt à la «Monsters» (am Donnerstag auf der Piazza Grande) hervorstechen.
Von Stille, aber ganz anderer Art ist in dem deutschen Psychokrimi «Das letzte Schweigen» von Baran bo Odar die Rede (am Freitagabend auf der Piazza Grande). Der Regisseur, in der Schweiz geboren, beschreibt Verbrechen an zwei zwölfjährigen Mädchen, die 23 Jahre auseinander liegen. Dabei geht es vordergründig um Sexualdelikte, in Wahrheit aber über Befindlichkeiten, Betroffenheit, Beziehungen und Beschuldigungen. Endlich ein starkes Krimistück auf der Piazza zu Locarno.
Samstag
14.08.2010




