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Mittwoch
14.06.2023

Medien / Publizistik

Die «Tagwacht» war 1892 von der Arbeiter-Union Bern als Parteiorgan gegründet worden. (Bild zVg)

Die «Tagwacht» war 1892 von der Arbeiter-Union Bern als Parteiorgan gegründet worden. (Bild zVg)

Es gibt die Print-Zeitungen, es gibt die Digital-Ausgabe, und es gibt die digitalisierten Papierzeitungen von anno dazumal.

In Bern hat die dritte Gattung gerade einen kleinen Quantensprung vollführt: Der Verein «Zeitungsdigitalisierung im Kanton Bern» hat rund 260’000 Papierseiten feinsäuberlich eingescannt und ins Web gestellt.

Damit kann nun in der «Berner Tagwacht», ihrem kurzlebigen Vorgängertitel «Der Schweizerische Sozialdemokrat» und in der noch kurzlebigeren Nachfolgezeitung «Die Hauptstadt» per Mausklick frei herumgeblättert werden.

Die Letztgenannte hat mit dem neuen schicken Onlinemagazin – der Berner Variante der Zürcher «Republik» – nichts am Hut. Ausser dem monolithischen Namen.

«Die Hauptstadt» war der letzte Überlebensversuch der linken Parteipresse auf dem Platz Bern. Der als Wochenzeitung konzipierte Titel bestand 1998 nur während sechs Monaten und war der Versuch, die legendäre «Berner Tagwacht» irgendwie doch noch ins Zeitalter der Forumspresse zu retten.

Dabei konnte die «Tagwacht» auf eine stolze Geschichte zurückblicken. 1892 war sie von der Arbeiter-Union Bern als Organ der Sozialdemokratischen Partei des Kantons Bern gegründet worden und ersetzte den «Schweizerischen Sozialdemokraten», der vier Jahre zuvor zum ersten Mal die Druckerei verliess.

Der Sozialdemokrat und Landesstreik-Führer Robert Grimm machte als Chefredaktor die «Berner Tagwacht» in den 1910er-Jahren zum Kampfblatt der Linken, das auch international beachtet wurde. 1966 fusionierte sie mit der «Seeländer Volkszeitung», die seit 1920 in Biel erschienen war.

Die «Tagwacht» kämpfte immer mit knappen Finanzen und war mehrmals vom Konkurs bedroht, weil sie weniger Werbeeinnahmen generieren konnte als bürgerliche Zeitungen.

Mit der «Tagwacht» ist das Berner Digitalisierungsprojekt noch nicht abgeschlossen. Der Verein arbeitet daran, eine weitere Million Zeitungsseiten aus dem Kanton Bern zu digitalisieren. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Universitätsbibliothek Bern und der Schweizerischen Nationalbibliothek geführt.