Christian Lüscher sass in einer Zwickmühle: Vor Gericht verteidigte er einen Klienten, der wegen Veruntreuung von Millionen auf der Anklagebank sass. Und im Parlament war er damit beauftragt, zu befinden, wie diese Gelder der übervorteilten Bevölkerung am besten zurückgezahlt werden könnten.
Die Zeitschrift «L’Hebdo» sprach in der Ausgabe vom 19. März 2015 von einem möglichen «Interessenkonflikt», in dem der freisinnige Genfer Nationalrat sass. Titel: «Die seltsamen Verrenkungen von Christian Lüscher».
«L`Hebdo» zitierte einen sich kritisch äussernden sozialdemokratischen Parlamentarier, der erklärte, Lüscher habe seinen «Interessenkonflikt» nicht offengelegt. Hingegen verschwieg das Magazin die Aussage eines christlichdemokratischen Nationalrats, der angab, Christian Lüscher habe während der Beratung der Gesetzesvorlage über Potentatengelder in der Rechtskommission spontan auf sein Anwaltsmandat hingewiesen.
Das Datum dieser Aussage konnte der Christdemokrat jedoch nicht näher benennen. «L'Hebdo» schaute in einem Protokoll der Kommission nach, von dem das Magazin Kenntnis hatte. Dieses erwähnte Lüschers Intervention während der Sitzung nicht.
Für den Schweizer Presserat unterschlug die Story wichtige Informationen und verstiess damit gegen Paragraph drei der berufsethischen Richtlinien. Selbstverständlich seien die Medien nicht dazu verpflichtet, restlos alle Informationen, die sie zu einem Thema zusammengetragen haben, dem Leser hinzublättern.
Stehen aber zwei gegensätzliche Aussagen im Raum, müssen beide genannt werden, findet das Selbstkontrollorgan. Dies auch dann, wenn es nicht hundertprozentig wasserdicht gemacht werden kann. «Gerechterweise hätte deshalb die Lüscher entlastende Aussage des christlichdemokratischen Parlamentariers erwähnt werden müssen, auch wenn das Datum der Intervention Lüschers in der Kommission unklar blieb.»