Zum Tod von Peter von Matt: Für den Klein Report publiziert Philipp Gut einige persönliche Erinnerungen an seinen Doktorvater:
Peter von Matt lebte und liebte das philologische Detail. Bei der Besprechung meiner Dissertation «Thomas Manns Idee einer deutschen Kultur», schliesslich ausgezeichnet mit summa cum laude und auch dank seiner Empfehlung auf Anhieb im Thomas-Mann-Verlag S. Fischer in Frankfurt erschienen, merkte er an, warum ich nicht häufiger auf das «unterschätzte Satzzeichen» Strichpunkt zurückgriffe. Dem Verlag sandte er derweil ein Statement, das wie ein Stempel von höchster Stelle klang: «Das politische Profil eines der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts darf damit als abschliessend gezeichnet gelten.» Punkt. Strich.
Solche Detailkritik, solche Betrachtungen mit der Lupe gingen Hand in Hand mit der Beschäftigung mit den ganz grossen Themen nicht nur der Literatur, sondern des Lebens: Liebe und Verrat, Geburt und Tod, Vernunft und Wahnsinn. Von Matt ging aufs Ganze, seine literaturwissenschaftlichen Exegesen zielen auf den Menschen, den liebenden, den hassenden, den leidenden, den triumphierenden, den intriganten, den Menschen als Charakterlump und Götterliebling.
Man spürte: Was hier verhandelt wird, das geht mich an, auch wenn es 200 Jahre zurückliegt und weiter nichts ist als eine Gedichtstrophe. Von Matt machte die Literaturbetrachtung zu einem geradezu erotischen Ereignis. Es bebt bis heute nach.
Auf Wirkung im Ziel waren auch seine Vorlesungen ausgerichtet. Sie waren auch deshalb so eingängig, weil er zu Beginn jeder Lektion die Kernaussagen der vorangegangenen Stunden wiederholte. Von-Matt-Vorlesungen verliefen also nicht linear, sondern spiralförmig: Sie schraubten sich in ständiger Repetition nach oben. Während andere Professoren eine wahre Material- und Datenschlacht entfesselten, in der die mitschreibenden Studenten mit entzündeten Handgelenken und rauchenden Köpfen heillos überfordert untergingen, oder während wieder andere planlos bis jovial vor sich hin plauderten, erweckte von Matts Methode bei seinen Zuhörern das dankbare Gefühl, das Wesentliche begriffen und auch gleich für immer gespeichert zu haben.
In der Literaten- und Journalistenszene war er ein heimlicher König und Strippenzieher. Er warf ein feinmaschiges, kaum sichtbares Beziehungsnetz aus – über alle Bereiche und Stellen, die ihm selber wichtig waren. Es gab keine Redaktion, wo nicht ehemalige Schüler von ihm sassen. Oft genügte ein Wort: Ein «Gruss» des Professors an den Redaktionsleiter, und die Karriere konnte starten.
Verblüffend auch dies: Der Professor sprach nicht einfach einen bestimmten Dialekt, er sprach mehrere, zwischen denen er mühelos und wie auf Knopfdruck switchte: Er konnte wie ein waschechter Nidwaldner parlieren, klingen wie ein Luzerner, aber auch schnurre wie ein in der Wolle gefärbter Zürcher. Je nach Gegenüber, Umgebung und beabsichtigtem Effekt. Als guter Unternehmer – und seine Erfolge gaben ihm Recht – war er ein Meister der intellektuellen Kundenpflege.
Kurz und gut: Von keinem akademischen Lehrer habe ich mehr über die Literatur und das Leben gelernt als von Peter von Matt. Dafür bleibe ich ihm auf immer dankbar.
Dr. Philipp Gut ist Historiker, Journalist, Buchautor und Inhaber der Agentur Gut Communications.