Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) gelangte wegen eines Artikels in der Zeitung «Le Temps» an den Presserat. Der Artikel «Der jüdische Nationalismus ist für die Juden schlimmer als der Holocaust» war unterzeichnet von Christoph Zehntner als «Rabbiner der Liberalen Jüdischen Gemeinde Bern». Für den SIG hat der Autor damit eine Amtsanmassung begangen, bestätigte SIG-Präsident Alfred Donath einen Bericht der Zeitung «La Liberté» vom Donnerstag. Donath erinnerte daran, dass Zehntner 1998 vom Berner Verwaltungsgericht verurteilt worden war. Das Gericht hatte die öffentliche Zweckmässigkeit von Zehnters «Gemeinde» verneint. Zehntner, der sich selbst als Philosoph bezeichnet, trat in anderen Zusammenhängen auch schon als «Jesus von Nazareth» oder «Sohn des Kalifen Ali ibn Abi Talib» auf. Die Kläger kritisieren nicht nur, dass «Le Temps» den Autor nicht näher überprüft habe, sondern bemängeln auch die später erschienene «Präzisierung», welche die Anmassung nicht transparent gemacht habe, erklärte Brigitte Sion von der Koordination gegen Antisemitismus und Diffamierung (CICADE). Der SIG und die CICADE verlangten von der Zeitung, einem Vertreter des Schweizer Judentums einen gleichwertigen Platz zur Stellungnahme einzuräumen. Diese Anfrage sei aber ohne Antwort geblieben. Chefredaktor Eric Hoesli meinte dazu, dass «Le Temps» allen Raum zur Debatte geben will. Die Klage beim Presserat sei im Kontext mit dem emotionsträchtigen und sensiblen Thema zu sehen. Hoesli zweifle nicht daran, dass die Spalten von «Le Temps» auch dem SIG zur Verfügung gestellt werden, um seine Meinung zur Situation in Israel und Palästina zu äussern. Bei der Publikation von Meinungsartikeln überprüfe die Zeitung die Existenz des Autors. Zudem werde kontrolliert, ob der Inhalt des Textes ethische und berufsethische Normen respektiere, was im Artikel von Zehntner der Fall gewesen sei. Für den Chefredaktor sind die Diskussionen um die Frage des Status des Autors zwar interessant, aber zweitrangig.
Donnerstag
06.09.2001