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Mittwoch
05.06.2002

Für die Lauterkeit der Werbung im Abstimmungskampf wird es keine Anrufinstanz geben. Mit 86 zu 65 Stimmen hat der Nationalrat am Mittwoch Nichteintreten auf die Vorlage seiner Staatspolitischen Kommission (SPK) beschlossen. Mit dem Nichteintreten ist die Gesetzesvorlage erledigt, ohne dass der Ständerat zum Zuge kommt.

Der Entscheid hatte sich bereits am Vortag abgezeichnet. Die Vertreter der bürgerlichen Fraktionen SVP, FDP und CVP wandten sich mit einer Kommissionsminderheit gegen ein «Wahrheitsgremium» und die «Bevormundung» der Stimmbürger. Das Volk könne sich seine Meinung ohne «staatliche Abstimmungskontrolleure» bilden. Keine Unterstützung erhielten die Befürworter vom Bundesrat: Die Landesregierung lehne die Anrufinstanz ab, sagte Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz. Die Fairnessregeln seien nicht delegierbar: «In der Demokratie ist es die Aufgabe aller am Abstimmungskampf Beteiligten, Unwahrheiten ihrer Antagonisten zu thematisieren und zu kritisieren.» Ohne Sanktionsmöglichkeiten sei die Anrufinstanz ein «Papiertiger», sagte Huber Hotz. Es bestehe aber die Gefahr, dass unwahre Behauptungen durch ihre Intervention noch mehr Publizität erhielten. Die Anrufinstanz wäre überfordert und käme mit ihren Stellungnahmen für einen Grossteil der Stimmenden ohnehin zu spät.

Den Anstoss zur Debatte über die Anrufinstanz hatte 1999 die damalige Nationalrätin und frühere Ratspräsidentin Judith Stamm (CVP/LU) gegeben. Der Rat hiess im März 2000 ihre Initiative gut und gab damit der SPK den Auftrag
eine Vorlage auszuarbeiten. Nach dem Antrag der Kommission hätten die Stimmberechtigten irreführende oder tatsachenwidrige Aussagen vor Urnengängen bei einem Gremium von sieben unabhängigen Persönlichkeiten beanstanden können. Die Anrufinstanz sollte dazu eine schriftliche Stellungnahme abgeben und den Medien zuleiten. Mehr dazu: Nationalrat gegen Bevormundung des Volks