Eine Zeitung soll keine Wahlempfehlung abgeben. Dieser Meinung sind 79% aller Befragten einer aktuellen Emnid-Umfrage. Am Montag hatte die «Financial Times Deutschland» FTD erstmals einen Wahltipp abgegeben - zu Gunsten der CDU/CSU. Nur 20% der repräsentativ Befragten befürwortete eine solche Empfehlung, 1% machte keine Angaben. Mit der Abgabe einer Wahlempfehlung hatte die FTD ein in der deutschen Nachkriegs-Presselandschaft bislang unangetastetes Tabu gebrochen. Zur Rechtfertigung berief sich das Blatt auf die angelsächsische Tradition, nach der Parteinahme durch Medien vor Wahlen gang und gebe sei. Ferner könne die unzweideutige Haltung einer Zeitung durchaus hilfreich für die Entscheidung Unentschlossener sein, zitierte das Blatt den Berliner Medienwissenschaftler Axel Zerdick.
Nach Ansicht des Medienwissenschaftlers Siegfried Weischenberg hat die FTD mit ihrer direkten Wahlempfehlung die Grenzen des Journalismus überschritten. «Journalisten sollen informieren, kritisieren, kontrollieren und orientieren - nicht aber missionieren», sagte der Leiter des Instituts für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg. Er bezeichnete die Aktion des Wirtschaftsblatts als eine «Bevormundung der Leser». Die Wahlempfehlung sei in erster Linie eine «Marketing- Strategie», sagte Weischenberg auf Anfrage der dpa. «Wir sollten nicht alles naiv aus Amerika kopieren, zumal selbst dort Wahlempfehlungen höchst umstritten sind.» Die USA hätten eine andere Zeitungslandschaft und ein anderes politisches System als Deutschland: Die Amerikaner wählen ihren Präsidenten direkt, in Deutschland votiert man für Parteien. Siehe auch: Journalistischer Tabubruch: Wahlempfehlung
Dienstag
17.09.2002