«Reifezeugnis» gilt als Klassiker unter den Tatort-Folgen. Das Unbehagen war bei vielen Teenager-Mädchen im Jahr 1977 schon da.
Ihre Väter, Brüder und Mitschüler bewunderten die damals nackte, 15-jährige Schönheit der umwerfenden Nastassja Kinski. Der Regisseur (Wolfgang Petersen) konnte mit der Kamera nicht genug kriegen vom Mädchenkörper, der laut Geschichte den Lehrer verführte und dann vom Ex-Freund missbraucht wird.
Die alte Mär vom Teenie-Luder, diesen Weibchen, die Männer um den Verstand bringen, erfreut sich in Deutschland bis heute grosser Popularität. «Reifezeugnis» brachte laut Medienkritik auf Wikipedia etwas «Schulmädchen-Report»-Flair in die Biedermeierstuben der frisch entnazifizierten Deutschen. 47 Jahre später fliegt das «Kunstwerk» nun vielen um die Ohren.
1977 war Nastassja Kinski nicht 17-jährig wie im Film, sondern erst 15 Jahre alt. Sie war ohne Begleitung am Set, die Szenen wurden ohne rechtswirksame Einwilligung der Minderjährigen gedreht.
Die heute 63-jährige Kinski beantragt deshalb über den deutschen Medienanwalt Christian Schertz die Entfernung der Nacktszenen aus dem Tatort von damals. Beachtenswert ist die Argumentation des Medienanwalts: «In Zeiten, in denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk schon Warnhinweise wegen vermeintlicher rassistischer oder sexistischer Waalkes-Auftritten einbaut, ist es mir unverständlich, warum Nacktszenen mit einer Minderjährigen einfach immer wieder gesendet werden.»
Erst kürzlich war der Film im Januar auf dem öffentlich rechtlichen Sender RBB zu sehen. Pikant: 2017 meinte der NDR-Fernsehfilmchef Christian Granderath noch in klassischer «Male Gaze»-Manier: «Reifezeugnis mit Nastassja Kinski war in den Siebzigern eine sexuelle Initiation für sehr viele männliche Jugendliche. Auch deswegen ist dieser Tatort zur Legende geworden.»
Der öffentlich rechtliche NDR teilt nur mit, dass eine weitere Ausstrahlung dieses legendären Tatorts von damals nicht geplant sei.
Damals sahen über 25 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer «Reifezeugnis» – er gehört zu den erfolgreichsten Tatort-Ausstrahlungen aller Zeiten. Es gibt den Film auch als DVD.
