Die Rede von Bundespräsident Ueli Maurer hat an der Verlegertagung hohe Wellen geschlagen: Der SVP-Politiker machte sich (oder seinen Redenschreiber) in einer provokativen Kampfrede auf die «Suche nach Garantien für die Freiheit».
Irgendwoher weiss Maurer, dass die 1820er- und 1830er-Jahre wegen «engagierter Diskussionen staatspolitisch sehr fruchtbar» gewesen seien, wie es in seinem Redetext heisst. Maurer stellt deshalb für die heutige Zeit die Fragen: «Wie garantieren wir den Bürgern auf lange Dauer Freiheit? Wie stellen wir sicher, dass nicht mit der Zeit die Obrigkeit und der Staat doch wieder zu mächtig werden? Wie verhindern wir, dass früher oder später nicht wieder eine kleine Elite über die grosse Mehrheit bestimmt?»
Und da trifft der Mann des Pudels Kern oder den Wurm im Apfel, wie er schreibt, da müsse man aber den ganzen Apfel anschauen, «ob er vielleicht faul ist; oder den ganzen Baum, ob seine Wurzeln noch in Ordnung sind».
Spätestens hier trennen sich die Wege der Zuhörerschaft am Freitagabend im Fünfsternehaus Jungfrau Victoria. Denn das Fazit Maurers lässt aufhorchen: «Die Medien leisten heute nicht mehr, was für einen funktionierenden freiheitlichen und demokratischen Staat nötig wäre. Und damit wird es wirklich ernst: Denn so bröckelt der zentrale Pfeiler unserer Ordnung.» Der Klein Report horcht auf: Das sagt der Bundespräsident eines hochentwickelten Landes Mitten in Europa! Das Ende naht...
Maurer, der heute nur noch eine Zeitung abonniert hat, früher seien es sieben gewesen, lässt seiner Wut freien Lauf. Medien sollten der Marktplatz für Meinungen und Ideen sein, wettert er: «Aber anstatt verschiedene Meinungen zu vertreten, schreiben Sie alle mehr oder weniger dasselbe in verschiedenen Schattierungen.» Er könne diese oder jene Zeitung lesen,… (Ja was jetzt? Lesen Sie Zeitungen, oder nicht? Oder lassen Sie lesen?)...
Für ihn spiele es jedenfalls keine Rolle, welches Blatt man lese, «der Meinungstenor ist überall gleich. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Medien plötzlich selbst die Rolle des Zensors einnehmen!»
Der Bundespräsident (?) sieht die staatspolitischen Aufgaben der Medien in Gefahr oder gar als nicht erfüllt an. Dafür bemüht er nochmals die Schweiz um 1830 und fasst drei staatspolitische Funktionen aus einem Aufsatz des Liberalen Ludwig Snell mit dem Titel «Über die prohibitive Wirksamkeit der Presse» zusammen: «Erstens sei sie bildend, zweitens sei sie prohibitiv und drittens sei sie konstitutiv.»
Maurer interpretiert alles ins 2013 rein: Mit «bildend» sei die Aufnahme und Diskussion sowie Verbreitung neuer Ideen durch die Presse gemeint, ein Marktplatz der Ideen, auf dem sich die besten durchsetzen.
Unter dem Stichwort «prohibitiv» sei gemeint, dass «die Presse Missstände aufdeckt und bekämpft», so Maurer, von Recherchierjournalismus oder investigativem Journalismus wäre heute die Rede. Der wesentliche Antrieb sei hier ein gesundes Misstrauen gegenüber der Macht. Den Liberalen von damals sei klar gewesen, dass «der Staat immer eine potentielle Bedrohung für die Freiheit ist», sagte der Schweizer Bundespräsident, der gemeinsam mit dem Bundesrat ja die Spitze des Landes ausmacht. Der Klein Report hocht auf: Dann muss man sich also vor diesem Ueli Maurer in Acht nehmen, denn er bedroht demzufolge die Freiheit.
Damit aber die Politiker nicht ganz den Anschluss ans Volk verlieren, soll die Presse «konstitutiv» (Ludwig Snell) sein und die Verbindung zwischen Bürger und Staat herstellen, in dem sie «die Sorgen und die Bedürfnisse der Bevölkerung zum Thema machen». Ueli Maurer: «Somit sind Verwaltung und Politik auf dem Laufenden, was das Volk beschäftigt.» Ergo sei es eine ganz wichtige Aufgabe der Presse, dass sie den Staat permanent durchleuchtet und Fehler anprangert, sagt Maurer und kommt zur Frage: «Wer kontrolliert die Kontrolleure?»
Dann doppelt er provokativ nach: «Was geschieht, wenn die Medien ihre Rolle nicht mehr richtig wahrnehmen? Vielleicht weil sie einfach nachlässig arbeiten. Vielleicht aber auch, weil sie selbst Politik machen wollen.»
Der Machtmensch Maurer drischt ordentlich auf die Medien ein, übersieht aber als Nichtleser seines wahrscheinlich vorgeschriebenen Redetextes die eigene Interpretation Snells unter «prohibitivem» Verhalten der Presse. Sie soll Missstände aufdecken und: bekämpfen.
Bekämpfen? Wenn die Medien aktiv werden, ihre Rolle als Beobachter und Aufklärer verlassen, werden sie zu Agitatoren. Das sollte man aber nicht wirklich wollen in einem Rechtsstaat.
Der Einheitsbrei der Schweizer Berichterstattung zeigte sich nach der Maurer-Rede exemplarisch. Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) schrieb einen Text, den praktisch alle ihre Abonnenten (oft auch Mitbesitzer der SDA wie Verleger und SRG) leicht gekürzt übernahmen.
Er sei «in echter Sorge», sagte Ueli Maurer vor dem Publikum in Interlaken, wo seine einem Bundespräsidenten nicht angemessene Rede mit Buhrufen und Pfiffen begleitet worden ist. «In echter Sorge» ist der Klein Report, wenn ein Bundespräsident Staat mit Demokratie verwechselt. Medien haben eben nicht dem Staat zu dienen, wie er das sagte, sondern der Demokratie.