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Montag
11.09.2023

Medien / Publizistik

Im Juni nahm Lukáš Diko in Berlin den Pressefreiheitspreis des Medienverbands der freien Presse engegen. Ausgezeichnet wurde das Investigative Center of Ján Kuciak, das Diko leitet...       (Bild zVg)

Im Juni nahm Lukáš Diko in Berlin den Pressefreiheitspreis des Medienverbands der freien Presse engegen. Ausgezeichnet wurde das Investigative Center of Ján Kuciak, das Diko leitet... (Bild zVg)

Der Auftragsmord an dem Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova erschütterte 2018 die Slowakei und löste Massenproteste aus.

Der Klein Report sprach mit Lukáš Diko, der das Investigative Center of Jan Kuciak (ICJK) in Bratislava leitet.

Im ersten Teil des Interviews erzählt der engagierte Journalist vom Stand der Gerichtsverhandlungen gegen die Mörder und Drahtzieher, von den politischen Wellen, die dem Journalistenmord folgten, sowie von den wenigen verbliebenen investigativen Journalistinnen und Journalisten als «letzter Verteidigungslinie» der slowakischen Gesellschaft.

Das Gespräch führte Sebastian Gehr für den Klein Report.

In den letzten Jahren gab es zwei Morde an Journalistinnen und Journalisten in der EU, die für Aufsehen sorgten. Zum einen Daphne Caruana Galizia (Malta) und zum anderen Jan Kuciak (Slowakei). Gibt es in beiden Fällen Ähnlichkeiten?
Lukáš Diko
: «Daphne und Jan waren beide an Ermittlungen im Zusammenhang mit den Panama Papers und anderen Finanzverbrechen in ihren jeweiligen Ländern beteiligt. Tatsächlich gab es in den letzten Jahren vier Morde an investigativen Journalistinnen und Journalisten in Europa.» 

Wer war das namentlich?
Diko: «Neben Jan und Daphne waren dies Peter R. de Vries in den Niederlanden, auch wenn seine Ermordung nicht direkt mit der journalistischen Arbeit zusammenhing, sowie Giorgos Karaivaz in Griechenland. Dies zeigt, dass die Gewalt gegen Journalisten auch in Europa zunimmt.» 

Jeder Mord ist eine Katastrophe, keine Frage. Doch im globalen Vergleich ist da Europa nicht immer noch eine Insel der Seligen, was die Medienfreiheit angeht? 
Lukáš Diko: «Wir wissen, dass die Situation in Bezug auf die Sicherheit von Journalisten und die Pressefreiheit in vielen Ländern der Welt viel schlechter ist, aber wir können feststellen, dass sich investigative Journalistinnen auch in Europa nicht mehr sicher fühlen können. Alle drei Morde an Jan, Daphne und Giorgios zeigen auch, dass es Menschen gibt, die investigative Journalisten durch Morde an ihrer Arbeit hindern wollen. Aber das funktioniert nie.»

Wie meinen Sie das?
Diko: «In der Slowakei begannen die Journalistinnen nach Jans Ermordung zu kooperieren und seine Fälle zu untersuchen und noch mehr Fälle aufzudecken und zu veröffentlichen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Justiz nicht immer bereit ist, diese Morde aufzuklären und die Verantwortlichen zu bestrafen.»

Ist der Mord an Jan Kuciak im Februar 2018 vollständig aufgeklärt oder gibt es weitere Fragezeichen zu den tatsächlichen Auftraggebern?
Lukáš Diko: «Der Mord an Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova, die mit ihm getötet wurde, wird seit Anfang 2020 vor Gericht verhandelt. Der Schütze Miroslav Marcek wurde zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er sich schuldig bekannt hatte, und sein Fahrer Tomas Szabo erhielt 25 Jahre Gefängnis. Der Mittelsmann im Mordfall, Zoltan Andrusko, der seit der Verhaftung mit der Polizei kooperierte und die gesamte Struktur der Gruppe aufdeckte, erhielt nach einem Vergleich 15 Jahre Gefängnis.»

Und wie steht es um den Hauptverdächtigen Marian Kocner?
Diko: «Der mutmassliche Drahtzieher und Hauptverdächtige Marian Kocner, gegen den Jan in seinen Artikeln recherchiert hatte, und seine enge Mitarbeiterin Alena Zsuzsova, die laut den Ermittlungen und Andruskos Zeugenaussagen den Mord an Kocner in Auftrag gegeben hatte, wurden vor Gericht gestellt. In der letzten Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts vom Mai 2023 wurde Zsuzsova nach Wiederaufnahme des Verfahrens für schuldig und Kocner für nicht schuldig befunden. Sowohl die Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft kündigten an, dass sie Berufung einlegen werden, so dass der Fall erneut vom Obersten Gerichtshof geprüft werden wird. Das erstinstanzliche Urteil über Zsuzsová und Kocner wurde bereits vom Obersten Gerichtshof aufgehoben.»

Warum wurde auch die Verlobte von Jan Kuciak, Martina Kusnirova, getötet?
Lukáš Diko: «Jan und Martina waren ganz normale Menschen, die, wann immer sie konnten, ihre Zeit miteinander verbrachten und ihre Hochzeit planten. Als der Mord begangen wurde, waren sie zusammen in ihrem Haus in einem Dorf 45 Minuten von Bratislava entfernt. Sie arbeiteten und tranken am Abend Kaffee und Tee. Nach Angaben des Mörders erschoss er sie beide, als er das Haus betrat.»

Jan war zu dieser Zeit investigativer Journalist mit dem Schwerpunkt Steuerbetrug für akutality.sk, das zum Ringier Axel Springer Slovakia Konzern gehört. Die Ringier AG nahm damals wie folgt Stellung: «Sollte es sich bei dem Attentat um einen Versuch handeln, einen unabhängigen Verlag wie Ringier Axel Springer Slovakia an der Aufdeckung von Missständen zu hindern, werden wir dies zum Anlass nehmen, unsere journalistischen Aufgaben noch gewissenhafter und konsequenter wahrzunehmen.» Hat der Rückenwind aus der Schweiz geholfen oder hat der Gegenwind in der Slowakei zugenommen?
Diko: «Nach dem Mord gab es in der Slowakei grosse öffentliche Empörung, den grössten Volksaufstand seit der Samtenen Revolution von 1989, der zum Rücktritt des damaligen Innenministers und auch des Ministerpräsidenten Robert Fico führte. Die Öffentlichkeit unterstützte die Journalistinnen und Journalisten es herrschte die Stimmung, dass fast jeder ein investigativer Journalist werden wollte. Doch seit diesen Tagen sind mehr als fünf Jahre vergangen, und mit Covid, dem Krieg in der Ukraine und den innenpolitischen Krisen haben sich die Stimmung und das Umfeld verändert. 

Was hat sich konkret verändert?
Lukáš Diko: «Ein grosser Teil der Öffentlichkeit unterstützt die Journalisten nicht mehr und ist mehr mit seinen eigenen täglichen Problemen beschäftigt. Es gibt auch eine grosse Gruppe von Menschen, die von Politikern wie Robert Fico oder dem ehemaligen Premierminister Igor Matovic beeinflusst werden, die Journalisten gegenüber feindselig eingestellt sind, vor allem online und in sozialen Netzwerken, aber auch persönlich. Und wir spüren auch den Mangel an investigativen Journalistinnen, denn nach unseren Schätzungen gibt es in der Slowakei nur etwa zehn echte investigative Journalistinnen und Journalisten. Die Situation ist also nicht sehr positiv.»

Stimmt es, dass der sozialdemokratische Ministerpräsident Robert Fico, der aufgrund des Korruptionsskandals nach Jans Ermordung seinen Rücktritt eingereicht hat, im Herbst erneut kandidieren wird? Bedeutet dies, dass er in die Machenschaften seiner persönlichen Assistentin Maria Troskova nicht eingeweiht war?
Diko: «Robert Fico musste 2018 nach der Ermordung von Jan zurücktreten. Seine Partei Smer verlor die Wahlen im Jahr 2020 und eine neue Koalition, bestehend aus den ehemaligen Oppositionsparteien, wurde aufgrund der grossen Antikorruptionswelle in der Bevölkerung gebildet. Die Polizei begann, eine Reihe von Korruptionsfällen aus der Ära Fico zu untersuchen, und zahlreiche hochrangige Beamte, darunter der Polizeipräsident, der Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft und Minister, wurden wegen Korruption und Geldwäsche angeklagt; einige von ihnen verbüssen nach ihrer Verurteilung bereits ihre Haftstrafen. Sogar der ehemalige Ministerpräsident Fico wurde eine Zeit lang wegen eines Verbrechens angeklagt.»

Welches Fazit ziehen Sie aus diesen Ereignissen?
Lukáš Diko: «All diese Fälle zeigen, dass die Strafverfolgungsbehörden in der Zeit der dritten Regierung von Robert Fico die Verbrechen nicht untersuchten, dass wichtige Akteure der Strafverfolgungsbehörden in die Verbrechen verwickelt waren und dass es nur die investigativen Journalisten als letzte Verteidigungslinie der Gesellschaft waren, die die Korruption und die ungesetzlichen Handlungen in dieser Zeit aufdeckten. Die neue Koalition war jedoch nicht in der Lage, den Schwung zu nutzen, um sich mit anderen Problemen der Gesellschaft zu befassen, und ihre Amtszeit wird von den Beobachtern mit dem Wort ‚Chaos‘ charakterisiert, was zu politischen Unruhen und schliesslich zu den vorgezogenen Wahlen Ende September führte.»

Wie schätzen Sie Robert Ficos Chancen ein, wiedergewählt zu werden?
Diko: «Robert Fico konnte seine Popularität vor allem aufgrund der pro-russischen Rhetorik und der Enttäuschung der Menschen darüber, wie die Regierung nach den Wahlen das Land verwaltet hat, zurückgewinnen. Fico führt derzeit die Umfragen an und könnte die Wahlen gewinnen, aber erst die endgültigen Ergebnisse werden zeigen, ob er wieder eine Regierung bilden kann.»