Dieser Presserats-Fall gehört in die Abteilung Kuriosa: Kurz vor der Burka-Initiative hat das «Journal du Jura» einen Text von Türkei-Gründer Kemal Atatürk veröffentlicht – als angeblichen Leserbrief.
«Port du voile - Une question de civilisation», zu deutsch: «Kopftuchtragen - eine Frage der Zivilisation» war der «Leserbrief» überschrieben, den das «Journal du Jura» am 27. Februar 2021 abdruckte, also nur eine Woche vor der Abstimmung über das Burkaverbot.
Der Name des «Lesers» liess aufhorchen: Mustafa Kemal Atatürk aus Ankara stand unter dem «Brief», der dem Sinn nach für die Annahme der Initiative Stellung bezog. Optisch war der Text des 1938 verstorbenen Türkei-Gründers mit den anderen Leserbriefen identisch.
Erst auf Nachfrage eines Lesers, ebenfalls in der Rubrik Leserbriefe, stellten die beiden Co-Chefredaktoren Pierre-Alain Brenzikofer und Philippe Oudot zwei Wochen nach der Abstimmung klar, dass der Text auf ihre Kappe ging und dass es sich «natürlich nicht um einen Leserbrief, sondern um ein Zitat des Gründers der Republik Türkei» handelte.
Für einen Leser war damit eine «rote Linie» überschritten, wie er dem Presserat schrieb. Er stellte das «Journal du Jura» wegen «grober Fahrlässigkeit oder bewusster Täuschung» an den Pranger, weil die Leser nicht erkennen konnten, ob es sich um einen echten oder einen falschen Brief, eine pseudonyme Unterschrift oder ein Zitat handelte.
Der Beschwerdeführer kritisierte auch einen «Missbrauch der Rubrik», da die Chefredaktoren einer Zeitung andere Gefässe als «Leserbriefe» haben, um zu Wort zu kommen.
So kreativ man die Blattmacher-Idee mit etwas gutem Willen auch finden kann – medienethisch geht das gar nicht, schreibt der Presserat in seiner am Dienstag veröffentlichten Stellungnahme. Denn für die Leserinnen sei es in der Tat «nicht offensichtlich» gewesen, dass es sich bei dem Text nicht um einen Leserbrief, sondern ein Zitat aus einer anderen Epoche gehandelt hat.
«Das Zitat und sein Verfasser hätten nicht nur als solches erkennbar sein müssen, sondern es hätte vor allem in einer anderen Rubrik veröffentlicht werden sollen als in derjenigen, die per Definition für Beiträge von Lesern und Leserinnen reserviert ist», schreibt das Aufsichtsgremium weiter.