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Mittwoch
06.10.2004

Kehrtwende der Münchner «Süddeutschen Zeitung» im kuriosen deutschen Streit um die «richtige» Rechtschreibung: Das Blatt hat die Abkehr von der neuen Schreibweise (Gämse statt Gemse) erst angekündigt und gemäss Medienberichten vom Mittwoch jetzt teilweise wieder rückgängig gemacht. Laut der deutschen Ausgabe der «Financial Times» haben sich rund zwei Drittel der Redaktion für einen Kompromiss ausgesprochen, den die FT als «modifizierte Form der neuen Rechtschreibung» bezeichnet. Die SZ habe im Unterschied zu anderen Verlagen nie angekündigt, vollständig zur alten Schreibweise zurückzukehren, sagte Verlagssprecher Sebastian Berger am Mittwoch. Sie habe lediglich «die neue Rechtschreibung in der bestehenden Form» nicht beibehalten wollen. Und der «Stern» zitiert Chefredaktor Hans-Werner Kilz wie folgt: «Wir sind für einen Konsens.» Er habe von dem Vorpreschen nie etwas gehalten.

Die Zeitung will nun zunächst die weitere öffentliche Diskussion abwarten. Dabei wolle sich der Verlag auch für einen Konsens mit den Nachrichtenagenturen einsetzen. Angesichts der politischen Debatte sei jedoch nicht auszuschliessen, dass bereits in der Kultusministerkonferenz ein vernünftiger Kompromiss gefunden werden könne, bei dem vor allem Sinn entstellende Getrenntschreibungen aufgegeben würden, andere Regeln wie die neue Doppel-S-Schreibung jedoch beibehalten blieben. Anfang August hatten sich der «Spiegel» und der Axel-Springer-Verlag auf die Rückkehr zur alten Rechtschreibung geeinigt. Der Süddeutsche Verlag hatte damals zugestimmt und ebenfalls angekündigt, die Reform in den eigenen Publikationen zurückzunehmen. Beim Hamburger Verlag Gruner + Jahr hatte sich hingegen die Mehrheit der Chefredaktoren der verschiedenen Magazine (u.a. «Stern», «Geo», «Brigitte») gegen eine Rückkehr zur klassischen Schreibweise ausgesprochen. Der Springer-Verlag («Bild», «Bild am Sonntag», «Hörzu») hat die Rücknahme am vergangenen Wochenende vollzogen.

Rund 100 Autoren, Verleger und Wissenschaftler haben am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse die Rücknahme der Rechtschreibreform gefordert. In ihrem «Frankfurter Appell» riefen unter anderem Günter Grass, Siegfried Lenz, Sten Nadolny und Ilse Aichinger die Politik auf, weiteren Schaden von der deutschen Sprache und Literatur abzuwenden und nach «zunehmender Verwirrung das Experiment Rechtschreibreform zu beenden». Initiator ist der als Rechtschreibrebell bekannt gewordene Deutschlehrer Friedrich Denk aus dem oberbayerischen Weilheim. An diesem Donnerstag wollen die Ministerpräsidenten bei ihrer Konferenz in Berlin über die Rechtschreibreform diskutieren. - Mehr dazu: Da ist sie wieder, die alte Rechtschreibung, Auch Axel Springer kehrt zur alten Rechtschreibung zurück und Rechtschreib-Kritiker gründen «Rat für deutsche Rechtschreibung»