Content:

Donnerstag
27.12.2018

Medien / Publizistik

Senn: Journalisten sollten konkreter werden

Senn: Journalisten sollten konkreter werden

In der Wiener Innenstadt sei «ein Mensch» auf offener Strasse erschossen worden, «ein weiterer Mensch» sei schwer verletzt worden, meldete am Samstag der «Blick».

Nachdem die Wiener Polizei tags zuvor über zwei «männliche Opfer, deren Identität noch nicht eindeutig geklärt ist», informierte, war es natürlich ungemein wertvoll, im «Blick» zu erfahren, dass es sich dabei nicht um Krokodile handelt, sondern um Menschen.

Der Publizist Martin A. Senn zeigt in einer Glosse für den Klein Report pointiert die Schwachstellen der Berichterstattung auf.

Wer zum Teufel lehrt Journalisten diesen Unfug? Wenn Polizeisprecher verletzte oder zu Tode gekommene Passanten, Fussgänger, Fahrzeuglenker, Radfahrer, Passagiere oder Besatzungsmitglieder melden, machen die Redaktionen am liebsten platte «Menschen» draus. Dabei sollten Journalisten eigentlich aus amtlichen Mitteilungen konkrete Opfer, Tatverdächtige und Hergänge herausschälen. Geht es um Unglücksfälle und Verbrechen, sind die amtlichen Polizeimeldungen aber meist konkreter, informativer und packender als das, was die Medien daraus machen. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Besonders augenfällig wird die «Vermenschlichung», wenn mehrere Opfer zu beklagen sind. Lässt man die Velofahrerin oder den Fussgänger meist noch als Velofahrerin oder Fussgänger den letzten Atemzug tun, werden Passagiere und Crewmitglieder beim Absturz automatisch zu Menschen. Opfer von Anschlägen und Naturkatastrophen sowieso. Wo die zahlenmässige Grenze liegt, ist schwer zu sagen. Aber das Prinzip ist klar: Je schlimmer, desto Mensch.

Und Mensch ist natürlich immer auch, wenn die Stimme des «10vor10»-Moderators noch einen Tick sanfter wird – grad so, also müsste er seinen Kindern sagen, dass das Meerschweinchen gestorben ist - und er tieftraurig durch die automatische Studiokamera in die Stuben blickt. Und am nächsten Morgen erzählen die Leute anderen Leuten dann, dass bei einem Tsunami schon wieder viele Leute umgekommen seien.