Welche regionalen Parlamentsabgeordneten in verschiedenen Ländern sehen sich als «integre Macher»? In welchen Ländern sind Medienleute mit Spitzenleuten der Verwaltung per Du? Und wie berichten Medien überall in der Welt nach Atomunfällen? Solche Fragen beantwortet die vergleichende politische Kommunikationsforschung, die an der medienwissenschaftlichen Tagung in Winterthur eine Bühne hatte. Für den Klein Report berichtet Roger Blum.
Mit politischer Kommunikation beschäftigt sich die Kommunikations- und Medienwissenschaft schon länger. Sie untersucht dabei die Kommunikation von Regierungen, Parlamenten, Parteien, Verbänden, Bewegungen, die Wahl- und Abstimmungskommunikation, den politischen Journalismus, die politische PR, das politische Lobbying sowie die politische Meinungsforschung und sie analysiert, wie die politische Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger zustande kommt. Ein recht neuer Zweig hingegen ist die vergleichende politische Kommunikationsforschung. Meist wird ein Quervergleich unter Ländern, Systemen oder Kulturen angestellt.
Mark Eisenegger vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich plädierte an der Tagung der Medienwissenschaftler in Winterthur dafür, vermehrt auch zeitliche Längsvergleiche zu unternehmen. In Winterthur stellten Forscherinnen und Forscher drei Studien mit einem Quervergleich, eine mit einem Längsvergleich und eine mit einem Quer- und Längsvergleich vor.
Jens Tenscher von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verglich das Bild des idealen Parlamentariers bei deutschen und österreichischen Landtagsabgeordneten. In einer Befragung wurden rollennahe und rollenferne Eigenschaften erkundet: Rollennahe Eigenschaften sind solche, die sich stärker an der politischen Agenda orientieren, rollenferne Eigenschaften berücksichtigen hingegen mehr die Interessen der Mediengesellschaft. Das Resultat war, dass die rollennahen Eigenschaften wichtiger bleiben als die rollenfernen. Es lassen sich drei Typen unterscheiden: der «integre Macher», der «mediale Problemlöser» und der «Charismatiker». Im «medialen Problemlöser» verschmelzen die beiden Eigenschaftsgruppen. Bei den deutschen Abgeordneten erhielten die Idealbilder klarere Konturen als bei den österreichischen.
Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik an der Macromedia Hochschule in Köln, verglich das Verhältnis zwischen Journalisten einerseits und Spitzenbeamten und Sprechern anderseits in der Schweiz und in Deutschland. Auch sie gewann die Daten durch Befragungen.
In beiden Ländern sind die Beziehungen zwischen Medienleuten und Verwaltung nicht so eng wie jene zwischen Medienleuten und Parlamentariern. Aber während in der Schweiz die Journalisten den Kontakt zu Spitzenbeamten durchaus suchen, sind die Journalisten in Deutschland eher desinteressiert - anders als die Staatssekretäre und die Direktoren von Bundesoberbehörden, die gerne Kontakt zu Medien halten. In Deutschland kommt es selten vor, dass sich Spitzenbeamte und Journalisten duzen, in der Schweiz ist der Anteil markant höher. In beiden Ländern duzen sich viele Pressesprecher und Journalisten, zumal die Informationsspezialisten der Verwaltung zu einem beträchtlichen Teil ehemalige Journalisten sind. In der Schweiz sind die Journalisten die aktivsten bei der Kontaktpflege, in Deutschland hingegen die Pressesprecher.
Steffen Kolb, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Technik in Berlin, verglich die Programmvielfalt von Fernsehkanälen verschiedener Länder und verwies dabei vor allem auf methodische Probleme. Er stellte fest, dass die Vielfalt umso grösser ist, je kleiner die Zahl der nutzbaren Kanäle in einem Land ist.
Silje Kristiansen von der Universität Zürich verglich die Schweizer Presseberichterstattung in «Blick», «Tages-Anzeiger» und «Neuer Zürcher Zeitung» nach den Atomunfällen von Three Mile Island (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011). Nach dem Vorfall von Three Mile Island wurde das Unfallrisiko am stärksten thematisiert. Damals und nach Fukushima war die Debatte über die Atom- und Energiepolitik am intensivsten. Nach Tschernobyl habe man hingegen auf die geringere Qualität sowjetischer Atommeiler verwiesen und keine Konsequenzen für die Sicherheit eigener Kraftwerke gezogen.
Mit einem ähnlichen Thema beschäftigten sich Professor Jens Wolling und Marco Bräuer von der Technischen Universität Ilmenau: Sie verglichen die Berichterstattung vor und nach dem Unfall in Fukushima in den jeweils zwei grössten Zeitungen in den elf Ländern USA, Kanada, Grossbritannien, Irland, Deutschland, Österreich, Südafrika, Indien, Indonesien, Australien und Neuseeland.
Die Frage war, ob die erneuerbaren Energien nach dem Unfall aus einer anderen Perspektive betrachtet werden. Die Forscher stellten beispielsweise fest, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Verlauf der Debatte und damit der Berichterstattung in den untersuchten Ländern und dem Anteil der Atomenergie an der Energieproduktion.