Andrea und Andreas sind gerade zusammengezogen. Kennen gelernt haben sie sich im Internet, im Chatraum für Flirts. «Wir planen unsere Zukunft zusammen», schreibt Andrea in der Rubrik «Erfolgsstorys» auf der Internetseite des mitgliederstärksten Online-Flirt-Anbieters, Friendscout24.de. So wie Andrea und ihrem Andreas geht es immer mehr Menschen. Der begeisterte Chatter Frank (23) aus dem hessischen Hattersheim glaubt: «Man nimmt sich im Chat viel mehr Zeit, gegenseitig herauszufinden, ob man wirklich miteinander zurechtkommt, bevor man sich zum ersten Mal trifft.» Auch Wissenschaftler bekommen langsam ein positiveres Bild von der Liebe aus dem Netz. Lange Zeit war bei Psychologen gängige Meinung, zu viel Kommunikation via Internet führe zu Vereinsamung.
Für die Kommunikationswissenschaftlerin Nicola Döring, Autorin des Buches «Sozialpsychologie des Internets» und Professorin an der Technischen Universität im thüringischen Ilmenau, stellt das Internet ein «soziales Lernfeld» dar. Im zunächst anonymen Chat könnten Menschen im Alltag oft verborgene Qualitäten ausspielen oder geheime Wünsche und Fantasien ausdrücken. «Diese kennen zu lernen und zu ihnen zu stehen, kann der eigenen Selbstentwicklung dienen.» Positive Erfahrungen im Netz könnten zudem dazu führen, dass man außerhalb der Cyber-Welt mutiger und offener auf andere Menschen zugehe. «Die virtuelle Identität ist also keine Scheinidentität, sondern eine weitere Facette des realen Menschen.» Allerdings gibt es auch das Gegenteil, dass es nämlich ein Chat-Partner ablehnt, sein virtuelles Gegenüber in Wirklichkeit kennen zu lernen, um ein (Traum-)Bild nicht zu zerstören oder um die eigene fiktive Existenz nicht platzen lassen zu müssen.
Mittwoch
12.06.2002