«Ich lese keine Zeitungen mehr. Es nützt mir nichts. Sie geben mir nichts, absolut gar nichts... Und da ich sie nicht mehr lese, bin ich dreimal schneller.»
Man höre und staune: Wer da spricht, ist nicht etwa der unerreichte Donald Trump. Und es ist auch kein Querdenker, der ob der jüngsten Corona-Mutation erneut am «Medien-Mainstream» verzweifelt.
Weit gefehlt, wer da spricht, ist einer der sieben Köpfe der Landesregierung der schweizerischen Eidgenossenschaft: Bundesrat Ignazio Cassis.
So geschehen gemäss «Corriere del Ticino» an einer FDP-Wahlveranstaltung im Tessiner Örtchen Sant’Antonino am 3. September.
Zwar verteufelte der Aussenminister die Medien nicht im Stile Trumps, der die Journalisten und Journalistinnen als «Volksfeinde» geradewegs in die Hölle schickt.
Cassis’ Kaliber ist die Bankrotterklärung: Die Zeitungslektüre «nützt» ihm nichts mehr, «absolut gar nichts».
Das kommt nüchterner daher, fast buchhalterisch. Auf seine Weise ist es aber genauso gefährlich wie die Dämonisierung. Denn was nichts nützt, braucht es auch nicht unbedingt. Ein alter Zopf. Kann weg.
Natürlich hat der Chef der Schweizer Diplomatie das Recht, auch mal was Undiplomatisches fallen zu lassen, findet der Klein Report. Und natürlich darf auch ein Bundesrat seine persönliche Meinung kundtun.
Dumm nur, wenn er damit einer Lebensbedingung der Demokratie, zu deren ranghöchsten Repräsentanten er gehört, die Legitimationsgrundlage entzieht: Presse? Bringt nichts, brauchts nicht.
Der Erste, der den – sagen wir mal – Ausrutscher zurechtrückte, war Roberto Porta. In einem Kommentar für den «Corriere del Ticiono» schrieb der RSI-Journalist vergangenen Donnerstag: «Jeder von uns und sogar ein Mitglied des Bundesrats», so Porta, «sollte einen Fehler vermeiden, vor dem selbst Kinder gewarnt werden. Der Fehler besteht darin, alles in einen Topf zu werfen und zu verallgemeinern.»
Denn damit schadet er einer ganzen Kategorie, «nämlich all den Berufsleuten, die in Zeitungsredaktionen und auch in anderen Medien in unserem Land arbeiten. Ist das die Aufgabe eines Bundesrates? Eine Berufskategorie zu diskreditieren?», fragte Roberto Porta, der die Tessiner Journalisten-Vereinigung (ATG) präsidiert, in seinem Kommentar.
Beim Aussendepartement (EDA) versuchte Michael Steiner, Chef Medien, am Montag die Kohlen aus dem Feuer zu holen: Bundesrat Cassis informiere sich «jeden Morgen durch den Medienspiegel und die Medienanalyse, welche durch Kommunikation EDA erstellt wird und sämtliche relevanten Medienerzeugnisse aus dem In- und Ausland beinhaltet», sagte der Kommunikationschef, als ihn der Klein Report mit dem Zungenschlag seines Chefs konfrontierte.
Ausserdem werde der Aussenminister «regelmässig durch seine Kommunikationsfachleute in Kenntnis gesetzt, wie Medien über aktuelle Ereignisse berichten».
Und, natürlich: «Bundesrat Cassis ist überzeugt, dass eine vielfältige Medienlandschaft die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist.»