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Donnerstag
19.09.2002

Die Hilferufe sind selten zaghaft und leise, sondern meist eindringlich und kaum zu überhören. In zahlreichen Suizidforen und Chat-Räumen im Internet wird über Selbstmordgedanken und Suizidmethoden diskutiert: ohne ärztliche Begleitung und in einer direkten und schonungslosen Sprache. Ärzte und Psychiater sind sich laut dem deutschen Branchendienst Heise einig, dass die Seiten für depressiv Erkrankte nicht zu unterschätzende Gefahren bergen. Sie weisen aber auch auf Chancen einiger Foren mit Selbsthilfegruppen-Charakter hin. Zwischen zehn und zwanzig Suizidforen werden Schätzungen zufolge in Deutschland betrieben. Betreut werden die Websites von Laien, die meist anonym bleiben und ihre Seiten häufig über ausländische Server ins Netz stellen. Unter anderem werden Anleitungen zum Selbstmord geboten, Verabredungen zum geplanten Suizid getroffen oder Abschiedsbriefe veröffentlicht.

Gefährlich mache diese Foren aber vor allem die Art, wie über den Freitod kommuniziert wird, sagt Professor Ulrich Hegerl von der Psychiatrischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. So werde Suizid häufig dargestellt, als wäre die Entscheidung, aus dem Leben zu scheiden, eine vollkommen freie. «Doch der Freitod als freie Willensentscheidung existiert nur in Romanen und nicht im wirklichen Leben», sagt Hegerl. Selbsttötungen geschähen in mehr als 90 Prozent der Fälle bei einer ernsthaften psychischen Erkrankung wie Depression, Schizophrenie oder auch Sucht. In den Foren werden diese medizinischen Aspekte aber meist ignoriert. Tatsächlich wollen sich viele Forenbesucher gerade von Ärzten und Psychiatern abgrenzen. So sehen viele die Foren und Chats als einzige Möglichkeit, sich ohne Angst vor Unverständnis, Stigmatisierung oder ärztlichem Einschreiten über Selbstmord zu unterhalten. «Die Nutzer der Foren sind regelrecht eine verschworene Gemeinschaft», sagt Hegerl. «Es lassen sich Subkultur-ähnliche Merkmale beobachten.»