Sanija Ametis Schüsse auf die in einem prominenten Schweizer Auktionskatalog wiedergegebene Darstellung der «Madonna mit Kind» des Florentiners Tommaso del Mazza (1377 bis 1392) haben einen Aufschrei provoziert.
Ein Gastbeitrag für den Klein Report von Loris Fabrizio Mainardi, Unternehmensjurist und Mitglied der röm.-kath. Landeskirche Luzern. Mainardi war 2010 bis 2017 Assistent für Rechts- und Staatsphilosophie an der Universität Luzern.
«Dass eine aus Bosnien stammende, nichtgläubige Muslima, welche mit ihrer Operation Libero für einen EU-Beitritt der Schweiz missioniert, ein solches Sakrileg auch noch öffentlich selbstinszeniert, liess nicht nur in- und ausländische Hüter des Abendlandes aufheulen.
Da die nun öffentlich bekannte Aktion als Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit (Art. 261 StGB) nicht nur wegen der populistisch inszenierten Strafanzeigen der Jungen SVP und des rechtsradikalen Demagogen Rimoldi, sondern als Offizialdelikt von Amtes wegen verfolgt werden dürfte, sei an dieser Stelle kein verfrühtes strafprozessuales Plädoyer gehalten, sondern einzig eine soziokulturelle Apologie skizziert.
Ametis Aktion erweist sich auch für die Schützin, zumindest im Nachhinein, als so unbedacht wie die darauf folgende – fast schon katholisch anmutende – ‚Vergebungsbitte‘; immerhin hatte sie nicht geltend gemacht, ihre Schüsse hätten dem (auf Mazzas Gemälde in der rechten Hand des Jesuskinds gehaltenen) Distelfink gegolten und – im strafrechtlichen Sinn einer aberratio ictus – ‚irrtümlich‘ das Jesuskind und dessen Mutter getroffen. Im Erwägen über eine Absolution wäre daher zu fragen: Auf was hat Ameti somit geschossen? Auf Gott, ein Bild Gottes – oder ein bestimmtes ‚Gottesbild‘?
Unweigerlich sieht man sich an die religiösen Bilderstreite in Byzanz wie jene der Reformation erinnert, als darüber gestritten wurde, wie das Zweite Gebot, ‚Du sollst dir kein Gottesbildnis machen‘, auszulegen sei: Die Ikonoklasten schritten, wie die jüdisch-islamische Tradition, zur Entfernung (wie im zwinglianischen Zürich 1524, als ‚man die götzen und bilder mit züchten hinweg tuon sölle‘) oder aber brachialen Zerstörung jeglicher Gottesdarstellungen (in der Schweizer Reformation namentlich in Basel, Bern und St. Gallen), während die Ikonodulen in ihnen zu verehrende Ab-Bilder Gottes und seiner Heiligen sahen; bis heute kontrastieren reich bebilderte katholische und orthodoxe mit kargen
zwinglianischen und calvinistischen Kirchenräumen.
Da die religiösen beziehungsweise konfessionellen Antworten somit nicht eindeutig ausfallen, liesse sich mit Sokrates (im Buch X des platonischen Dialogs ‚Politeia‘) seinen Gesprächspartner fundamentaler fragen: ‚Nachahmende Darstellung allgemein überhaupt, kannst du mir das sagen, was sie eigentlich ist? ... Welchen der beiden Zwecke geht die Malerei, für das Nachbilden des Wesenhaften, wie es ist, oder für das des Scheinenden, wie es sich im Scheine gibt. Ist sie also eine Nachbildung von Schein oder von Wahrheit? [Vom Scheine, antwortete er]. Weit also von der Wahrheit ist offenbar die Nachbildung entfernt, deswegen kann sie auch alles mögliche nachmachen, weil sie nur weniges von jedem Ding trifft, und dazu noch mit einem Schattenbilde davon.‘
Auch wer das Original der Darstellung – Mazzas Gemälde der Madonna mit Kind – als verehrungswürdige Ikone verehren und strafrechtlich schützen möchte, müsste sich fragen, ob gleicher Verehrung und Schutz auch dessen tausendfache, letztlich der kommerziellen Auktionierung des Bildes dienende Reproduktion (Auflage 30‘000 Exemplare) zukommt oder ob es sich dabei eben um weltliche ‚Schattenbilder‘ einer gemalten Nachbildung des Göttlichen handelt.
Schliesslich wäre, anlehnend an das Jesuswort ‚Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie‘ (Joh 8,7), zu bedenken: Ausgerechnet heute, da im hochgelobt ‚christlichen‘ Abendland immer mehr Menschen aus der Kirche austreten und nur noch Minderheiten an Gott – geschweige denn die Menschwerdung und Auferstehung seines Sohnes und das Wirken des Heiligen Geistes – glauben, macht sich eine zunehmende öffentliche Ablehnung ‚fremder‘ (meist islamischer) und Demonstration ‚eigener‘ (christlicher) Symbole bemerkbar. Kopftücher und Minarette werden demokratisch legitimiert verboten, während der bayerische Ministerpräsident – nota bene gegen Widerstand der Kirche – verordnete, im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes sei ‚als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns gut sichtbar ein Kreuz anzubringen‘.
Dass die Verfolgung anderer Religionen bei gleichzeitig verordneter Pflege eigener religiöser Bräuche und Symbole äussere Symptome einer inneren Glaubensentfremdung sein können, haben prominent die Christenverfolgung im (noch) heidnischen Rom und die Glaubenskriege zu Beginn der (säkularisierenden) Neuzeit vor die Augen der Geschichte geführt. Vielleicht sollten wir bedenken, ob tatsächlich Ametis Ikonenschüsse oder nicht vielmehr der Grund, warum wir uns davor fürchten, Anlass zur Sorge ist.»