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Sonntag
19.11.2023

Medien / Publizistik

Keine Sternstunde der Schweizer Demokratie: Die GPK-Gruppe mit SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (l.) und daneben FDP-Ständerat Matthias Michel…   (Bild Screenshot auf PK)

Keine Sternstunde der Schweizer Demokratie: Die GPK-Gruppe mit SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (l.) und daneben FDP-Ständerat Matthias Michel… (Bild Screenshot auf PK)

Alain Berset hat seinen Rücktritt angekündigt, Marc Walder ist bei Ringier aus der Schusslinie befördert worden. Beiden ist gemein: Sie wollen die riesengrosse Corona-Affäre aussitzen und ihre «es-war-ganz-anders»-Versionen mit Druck in der Öffentlichkeit verankern.

Fazit des Klein Reports nach der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts der GPK zu den Corona-Leaks und den Dutzenden von Indiskretionen: Ein Totalschaden für die Schweizer Medien als ganzes. Denn die Leute auf der Strasse sind müde über dieses ständig Wichtigtuerische von Politikern und Journalisten, die sich als «Master of the Universe» sehen und sich auch so gebärden. Den Leuten auf der Strasse ist schon lange klar, dass hier in vielen Teilen eine grosse gruselige Verschmelzung stattgefunden hat. Gewaltenteilung ade, Aufarbeitung oh jeh.

Der noch bis Ende Jahr amtierende Innenminister Alain Berset und dessen Rechtsvertretung sowie Ringiers Anwälte haben alles unternommen, um Daten zwischen dem Innenministerium (EDI) und Ringier unter Verschluss zu halten.

Die GPK der Räte hätten sich «in ihrer Untersuchung strikt an die Gewaltentrennung gehalten und die nach wie vor gesiegelten Akten des Zwangsmassnahmengerichts nicht angefordert», heisst es in der Mitteilung vom Freitagabend. «Zum Zeitpunkt ihrer Untersuchung waren zudem verschiedene Unterlagen bereits gelöscht bzw. nicht mehr vorhanden. Die Quellenlage hat sich als insgesamt sehr lückenhaft erwiesen.»

Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) kamen denn auch nicht ganz verwunderlich zum Schluss, dass durch «die sehr lückenhafte Quellenangabe», die Fragen nicht abschliessend beantwortet werden können.

Der Bundesrat habe als Gremium zu wenig gegen die Leaks gemacht. Die sieben Bundesrätinnen und Bundesräte waren durch die Indiskretionen während der Corona-Pandemie teils dermassen zerstritten, dass es zum Stillstand während der Gesundheitskrise kam. Auf föderaler Ebene haben danach die kantonalen Regierungen die Führung übernommen.

Die GPK-Untersuchung habe gezeigt, dass der Bundesrat verschiedene Massnahmen getroffen habe, um Indiskretionen zu verhindern. «Da diese Massnahmen jedoch nicht erfolgreich waren, wurden sie teilweise kurz nach ihrer Einführung wieder eingestellt», schreibt die GPK. «Das Thema wurde zudem in verschiedenen departementübergreifenden Gremien und vereinzelt auch in Bundesratssitzungen angesprochen.»

Gemäss dem Bericht der parlamentarischen Oberaufsicht hätten die Leaks zu einem Vertrauensverlust im Bundesrat geführt, was auch Auswirkungen auf die Beschlussfassung gehabt habe. Bundesratsmitglieder hätten gar resigniert.

Erst versuchten die Regierungsmitglieder Probleme anzugehen, zu lösen. Und schwupp: Am Morgen darauf stand es pfannenfertig in der Zeitung. Am häufigsten ist das gemäss GPK bei Tamedia («Tages-Anzeiger», «SonntagsZeitung») und Ringier («Blick», «SonntagsBlick» - «Waldergate»-Affäre) passiert.

Ringier-CEO Marc Walder habe vom ehemaligen Kommunikationschef des Innendepartements, Peter Lauener, «vertraulich klassifizierte Informationen erhalten», heisst es im Untersuchungsbericht. Der Chef von Lauener, Innenminister Alain Berset, der mehrfach täglich über die Lage informiert wurde, wusste gemäss dem GPK-Bericht vom Austausch zwischen Lauener und Walder.

Berset selber war mehrmals VIP-Gast bei Ringier. Am auffälligsten war sein Besuch bei der Lancierung des Hochglanz-Heftes «Interview by Ringier». Die danach veröffentlichten Bilder sprechen Bände zur damals gewollten Nähe von Ringier und dessen CEO zur Macht.

Weshalb hat Alain Berset keine Massnahmen getroffen? In der Befragung der Arbeitsgruppe erklärte der Bundesrat, dass die Indiskretionen nicht aus seinem Departement kommen könnten. Punkt.

Das ist für die obersten parlamentarischen Prüfer «nur beschränkt nachvollziehbar». Dass der EDI-Chef «im Wissen um diese Kontakte und die zahlreichen und wiederholt auftretenden Indiskretionen zu Geschäften des EDI keine spezifischen Massnahmen in seinem Departement ergriffen hat».

Demokratierelevant ist der Aspekt, dass die Entscheidfindung und Beschlussfassung des Bundesrates verändert wurde. «So wurden einerseits etwa vermehrt Geschäfte höher klassifiziert als notwendig, was dazu geführt hat, dass eine Konsultation der Fachexpertinnen und -experten ausblieb», schreibt die GPK. «Andererseits verzichteten die Departementsvorsteherinnen und -vorsteher vermehrt auf das Einreichen von Mitberichten, wodurch die inhaltliche Vorbereitung erschwert wurde. Die GPK bedauert, dass trotz des klar spürbaren Vertrauensverlusts im Zuge der vielen Indiskretionen während der Pandemie erst im Januar 2023 eine Aussprache im Bundesrat stattgefunden hat.»

Die GPK analysierte 500 Artikel in 24 Medientitel. Im Bericht wird festgehalten, dass die vielen Indiskretionen im Zusammenhang mit Covid-19-Geschäften nicht direkt Gesundheitsminister Alain Berset angelastet werden könnten. Zu einem späteren Zeitpunkt waren auch andere Departemente betroffen.

Der Bericht ist am 17. November 2023 unter dem Vorsitz von Ständerat Matthias Michel (FDP, ZG) und Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (SP, LU) mit Mehrheitsbeschluss verabschiedet worden.