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Sonntag
11.05.2025

Medien / Publizistik

Esther Scheidegger und Kari Lüönd, die seit 12 Jahren gemeinsam durchs Leben gehen, an der Buchvernissage von «20 Jahre G&G» vom 5. Mai im Zürcher «Sphèhres»...    (Bild: © Klein Report)

Esther Scheidegger und Kari Lüönd, die seit 12 Jahren gemeinsam durchs Leben gehen, an der Buchvernissage von «20 Jahre G&G» vom 5. Mai im Zürcher «Sphèhres»... (Bild: © Klein Report)

Kari Lüönd feiert Geburtstag. Der Klein Report hat sich vor der grossen Sause in Winterthur mit dem Doyen des Schweizer Journalismus unterhalten.

Sie feiern einen runden Geburtstag. Was geht in Ihnen vor?
Karl Lüönd: «Vor allem Dankbarkeit. Ich habe dreimal grosses Glück gehabt. Erstens, als ich für Geld zu schreiben anfing, erwischte ich genau das richtige Zeitfenster: Mitte der 1960er-Jahre, noch wenig Fernsehen; kein Internet. Die Zeitungen mussten die Rückseiten der reichlichen Anzeigenseiten füllen. Die Gescheiteren unter den Verlegern  konzentrierten sich auf Lokal-/Regionalthemen, Sport und Anlässe. Das konnte man nicht bei der Depeschenagentur einkaufen. Deshalb war es leicht, freier Mitarbeiter und später Reporter oder Redaktor zu werden. In Luzern war ich freier Reporter und Korrespondent, beim ‚Blick‘ lernte ich die Zubereitung des ganzen Menus. 1980 war ich bereit, eine Chefredaktion zu übernehmen: den ‚Züri Leu‘. Zweitens: Als wir 1982 nach zwei Jahren dieses Blatt wieder in der Gewinnzone hatten, passierte zweierlei. Erstens erhielten mein Verlagsleiter und Freund Jürg Müggenburg und ich eine ansehnliche Prämie, ein paar Monate später wurde die Zeitung an den direkten Konkurrenten ‚Tages-Anzeiger‘ verkauft. Die Begründung lautete, die Verluste seien nicht mehr tragbar gewesen. Wir konnten die Nachfolgezeitung ‚Züri Woche‘ gründen und 17 Jahre lang betreiben. Ich musste mir also sozusagen in Notwehr noch einen weiteren Beruf beibringen: die Verlegerei. Drittens habe ich es trotz überzeugter Unsportlichkeit und ungesundem Lebenswandel bis 80 gebracht. Vor einem halben Jahr haben sie im Kantonsspital Winterthur einen Krebs entdeckt – zum Glück früh genug. Bestrahlung und eine ziemlich rabiate Chemotherapie haben ihn vertrieben, sagen die Ärzte. Mögen sie recht haben!»

Welche Schlagzeile würden Sie über einen Artikel über Sie selber setzen?
Lüönd: «Glück gehabt und vom Leben gelernt»

Zu Ihren Anfängen als Journalist: Wo, wie und wann kamen Sie zu diesem Beruf?
Karl Lüönd: «Dass ich Journalist werden wollte, wusste ich schon mit 15 Jahren. Einen geordneten Studiengang gab es nicht; die Verleger verliessen sich darauf, dass es immer genug ‚abverheite‘ Akademiker und Lehrer gab, denen das Lehren verleidet war. Als der Urner Korrespondent der Luzerner Zeitungen Gemeindepräsident von Altdorf wurde, habe ich mich ungefragt in die Lücke gesetzt: zuerst mit Polizeimeldungen. Der Polizeikommandant war froh, dass er nicht jeden Tag Telefonanrufe beantworten musste, und ich erhielt pro Bergdrama oder Autounfall 5 bis 10 Franken, abzüglich Telefongebühren. Dann schrieb ich längere Artikel. Meine Eltern waren misstrauisch – bis die alte ‚Zürcher Woche‘ einen Text von mir über die Altdorfer Tellspiele nahm und 200 Franken bezahlte.»

Wie lernten Sie das Schreiben?
Lüönd: «Durch das Lesen. Das einfache Rezept hat sich bewährt: Sobald du eine Fremdsprache einigermassen beherrscht, übersetze den Text. Durch das Übersetzen lernst du, dich auf die sprachliche Form zu konzentrieren; den Inhalt hat ja schon jemand anderer erfunden.»

Hatten Sie einen Karriereplan?
Karl Lüönd: «Überleben! Wir waren eine Arbeiterfamilie in Uri mit vier Kindern. Die Mittelschule kostete 1500 Franken pro Jahr. Mein erster Plan war, dieses Geld selbst zu verdienen, denn der Monatslohn meines Vaters war nicht sehr viel höher. Ich beantragte Stipendien und erhielt zweimal 200 Franken – je pro Jahr. Ich habe das Geld später zurückbezahlt. Die Karriere ergab sich durch die wachsenden Kontakte im Alltag. Mein Prinzip war: Jeden Tag mindestens drei neue, interessante Menschen kennenlernen. Plötzlich riefen bei einem Erdrutsch im Schächental auch Ringier und das Radio an.»

Wer war Ihr Vorbild? Und weshalb?
Lüönd: «Werner Wollenberger, weil er die kleinen Formen des Tagebuchs und der Kolumnen ebenso beherrschte wie das Zeitungsmachen. Leider hat er nie einen grossen Roman geschafft.»

Sie arbeiteten für fast alle grossen Schweizer Medienhäuser. Wo fühlten Sie sich am meisten «zu Hause»?
Karl Lüönd: «Das ‚Luzerner Tagblatt‘ wurde von der Publicitas durchgefüttert, aber dort lernte ich die Vielseitigkeit: vom Raubüberfall über die Modeschau bis zur Ratsverhandlung. Und die Arbeit im Sparmodus. Wenn ich ins Ausland telefonieren wollte, musste ich den Chefredaktor fragen. Der ‚Tages-Anzeiger‘ war korrekt, für meinen Geschmack aber zu stark von Marketingleuten beherrscht. Als sie verlangten, ich sollte von Luzern nach Zug umziehen, verlegte ich mein Schwergewicht auf Ringier. Dort habe ich von Kolleginnen und Kollegen wie Fibo Deutsch, Gila Blau oder Ruedi Rohr gelernt, dass nichts unmöglich ist, ausser das, was man nicht ausprobiert hat. Und Ringier war immer fair zu mir, auch als ich das Haus verliess.»

Was waren die grössten Unterschiede zwischen Publikationen wie «Blick» oder «Züri Leu»?
Lüönd: «Beim ‚Blick‘ kam es auf die Mischung von harten und weichen, von dramatischen und komischen Geschichten an. Der ‚Züri Leu‘ lebte von der zweiten und dritten Ebene der Aktualität: den Personen, den Hintergründen, den Prognosen. Und wir mussten in jeder Nummer etwas haben, das die anderen nicht hatten, Zum Glück hatten wir Hildegard Schwaninger und später, bei der ‚Züri Woche‘, Suzanne Speich. Und dann halt auch wieder das Prinzip der immerwährenden Frechheit: Unmöglich ist nur, was du nicht probiert hast. Darum konnte ich Interviews machen mit Dieter Bührle, mit dem neuen SBG-Chef Philippe de Weck – indem ich einfach anfragte und argumentierte.»

Was waren die grössten Einschnitte im Journalismus in den letzten 50 Jahren?
Karl Lüönd: «Der Wandel des Berufsbilds. Als ich anfing, lieferte man ein Manuskript ab und fertig. Heute ist der Journalist nicht nur für den Inhalt, sondern auch für die Darreichungsform verantwortlich, manchmal gleich auch noch für Ton und Video. Die armen Kolleginnen und Kollegen müssen die Geschichten in vier, fünf Versionen plus Kurzfassungen erzählen und haben kaum mehr Zeit, an die Schauplätze auszurücken und als Reporter die Stimmen und die Stimmungen einzufangen.»

Werden wir in 20 Jahren noch gedruckte Zeitungen haben?
Lüönd: «Sofern es dann nicht billiger ist, eine Fliege mit einem Laptop totzuschlagen als mit einer Zeitung. Aber im Ernst: Vermutlich ja, denn es ist noch nie ein Medium völlig verschwunden. Die Haptik beim Zeitungslesen, die Möglichkeit, anzustreichen und auszureissen ist nicht zu unterschätzen

Würden Sie einem Jungen heute wieder zu diesem Beruf raten?
Karl Lüönd: «Aber sicher. Journalismus bedeutet Know-how-Transfer: Hermetische, schwer verständliche Inhalte verstehbar machen. Kompliziertes einfach erklären. In einer direkten Demokratie ist das ein wichtiger öffentlicher Dienst.»

Was wünschen Sie sich?
Lüönd: «Dass sich unsere Branche nicht so wichtig nimmt und weniger empfindlich ist, wenn sie kritisiert wird. Kritik und Widerspruch sind immerhin Beweise dafür, dass man noch ernst genommen wird. Und dass der Einfluss der organisierten Kommunikation (frei nach Blocher: «der Fassadenreiniger und Leichenschminker») nicht noch mehr zunimmt.»