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Dienstag
06.06.2017

Medien / Publizistik

Keiner zu klein, um am Computer zu sein

Keiner zu klein, um am Computer zu sein

In diesen Tagen präsentierte die Bundesdrogenbeauftragte der deutschen Regierung, Marlene Mortler von der CSU, eine Studie zur Techniknutzung von Kindern. Die Befragung von 5'600 Eltern und deren Kinder, die als Patienten bei Kinder- und Jugendärzten erfasst wurden, ergab, dass Smartphones und Tablets der Gesundheit schaden.

Die Medienexpertin Regula Stämpfli berichtet für den Klein Report über die Studie.

Die Befunde sind tatsächlich erschreckend: 600'000 Jugendliche und junge Menschen gelten schon als internetabhängig und 70 Prozent der Kinder im Kita-Alter nutzen das Handy der Eltern über eine halbe Stunde täglich. Die Ärzte diagnostizieren gesundheitliche und psychische Schäden wie Bindungsstörungen, Essstörungen, Neigung zu Fettleibigkeit und Schlafstörungen bei Kindern.

Wer sich täglich umschaut, erkennt die Befunde der Studie sofort: Babies und Kleinkinder werden mit Smartphones ruhig gestellt, Kinder von Müttern und Vätern betreut, die ununterbrochen in ihr Handy schauen. Es gibt unzählige Jugendliche, deren Kontakt mit den Eltern oder Betreuungspersonen sich auf Vertragsdiskussionen fürs neue Handy beschränkt.

Je häufiger der Technikkonsum, umso höher werden die Entwicklungsstörungen von Kindern festgestellt. Die motorischen und linguistischen Fähigkeiten werden durch Technikkonsum eingeschränkt, auch hier reicht ein Blick auf die Technik-Nerds in Unternehmen und Universitäten. Smartphone und Fettleibigkeit korrelieren darüber hinaus massiv.

Was tun? Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung setzt auf Information von Eltern und Öffentlichkeit. Welch schwaches Programm! Denn beim Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen geht es nicht um fehlende Aufklärung und Information, sondern um die politische Praxis, den wirtschaftlichen Alltag und den Zustand der Gesellschaft insgesamt.

Das Stilllegen der Kinder ist in neoliberalen westlichen Gesellschaften regelrecht programmiert. Die Städte sind für Autos, nicht fürs Spielen gebaut, die Erwerbsarbeit ist auf Karrieristen und auf nicht Familienverträglichkeit ausgerichtet, Kinder wachsen nicht mehr in einem Dorf, Quartier oder grösseren Gemeinschaft auf, sondern in Kleinfamilien mit Kleinkäfig-Struktur, Kinder werden, wenn ein bisschen verhaltensauffällig, mit Medikamenten ruhig gestellt. Davon sind vor allem Kinder aus Unterschichtsfamilien besonders betroffen. Dies war schon zu meiner Zeit so: In Arztfamilien gab es die Geige, in Arbeiterfamilien den Fernseher.

Deshalb wäre es interessant, die Befunde in Deutschland mit denjenigen in Skandinavien und in Frankreich, kurz Länder mit guter Krippen- und Tagesschulbetreuung und sozialer Mobilität zu vergleichen. Denn nicht die Technik ist in erster Linie gesundheitsgefährdend, der dahinter liegende politische und wirtschaftliche Alltag indessen schon.  Anders gesagt: Nicht das Handy macht krank, sondern die Bildungspolitik, die Arbeitszeiten, die Verkehrspolitik, die Armutspolitik, die Gesundheitsversicherungen, die Einsamkeitspolitik, die Formular- und Abgabepolitik, die Sinnlos-Politiken etc.