In vielen Städten Frankreichs sind erneut Tausende auf die Strasse gegangen, um gegen Macrons Politik zu protestieren. Für den Klein Report kommentiert die Medienexpertin Regula Stämpfli, wie die Proteste für die Demokratie, die Medienlandschaft und Europa einzuordnen sind.
2011 protestierte zur selben Jahreszeit die bunte und junge Bewegung «Occupy» gegen die Herrschaft des Finanzkapitalismus. Die Medien machten sich damals über die Ziellosigkeit der Proteste, ihre fehlende politische Verankerung im klassischen Parteiensystem sowie über deren Naivität lustig.
Das Witzeln ist seither allen Journalisten vergangen. Sieben Jahre später steht Europa vor einem demokratischen Scherbenhaufen: «Brexit» sowie die flächendeckenden Siege von EU-Abschaffern in Ungarn, Polen, der Tschechischen Republik und Österreich verheissen nichts Gutes. Nächstes Jahr sind EU-Wahlen und alle werden sich wohl schockiert die Augen reiben müssen, falls es so weitergeht.
Doch statt hinzuhören, statt die Proteste intellektuell und aufklärerisch zu begleiten, statt die Elite kontinuierlich zugunsten der absteigenden Mitte unter Druck zu setzen, sanieren sich die klassischen Holzmedien weiter mit Skandalisierung, Polarisierung, Freund-Feind-Unterhaltung und Talkshows, die direkt aus der Traktandenliste der Rechtsaussen kopiert werden.
Diese Art und Weise der Kommunikation, Donald Trumps «Trumpismus», hat den Männer-Medien-Polithochburgen klassische Auflagehochs beschert. In der Schweiz beispielsweise verdienen die klassischen Medien, die ewig gleichen Experten und die Netzkapitalisten Facebook und Twitter desto mehr, je umstrittener eine politische Vorlage ist. Dass darunter der politische Diskurs nicht nur leidet, sondern die Demokratie regelrecht zersetzt wird, fällt niemanden mehr auf. Zu sexy, zu kostbar und zu verführerisch ist der kurzfristige Gewinn.
2017 war der Medienjubel gross, als der schicke Boulevard-Liebling Emmanuel Macron mit der über 25 Jahre älteren Frau an seiner Seite gewählt wurde. Der ehemalige Bankenmanager wurde - entgegen aller Fakten - zum Anti-Trump und Hoffnungsträger medial hochstilisiert. Doch anderthalb Jahre später brennt Paris. Und zwar in einer gefährlichen politischen Mischung und sehr typisch für das Zeitalter des Trumpismus: Rechtsextreme Ultras kämpfen Seite an Seite mit Zornigen der unteren Mittelschicht.
Am 17. November versammelten sich über 300`000 Menschen an Landstrassen und Autobahnen und legten Frankreich lahm. Zunächst ging es «nur» um Spritpreise. Seit Samstag geht es um ein generelles «es reicht» - es geht nicht nur um Politik, nicht nur um Preise, sondern es geht um alles. Es geht um Wut und Zorn. Das Beunruhigende daran ist: Nur die Rechtsextremen scheinen eine parteipolitische Antwort auf die unbändige Empörung der vom Abstieg bedrohten Mitte und den real Abgestiegenen zu haben.
Emmanuel Macron ist einer der übelsten neoliberalen Hardliner, doch in den Medien wird er als Europa-Liebling gefeiert. Dabei unterscheidet sich Macrons Politik im Kern nur rhetorisch von derjenigen von Donald Trump: Reichtumssteuer für Millionäre und Milliardäre schaffte Macron ebenso ab wie er die Wohnbeihilfen für Arme gestrichen hat. Und immer noch packen die Medien den Schönling Macron in das Seidenpapier des Progressiven. Emmanuel Macron belohnt diese Haltung mit einem ewig gleichen therapeutischen Politgelaber: «Ich höre euch. Ich verstehe euch. Aber da müssen wir leider durch.»