Ist es ein verstecktes Wahlgeschenk oder echte Kulturförderung? Auf Initiative von Präsident Emanuel Macron hat das französische Kulturministerium am 21. Mai eine App lanciert, die Jugendliche zu mehr Kultur hinführen soll.
Dank dieser Smartphone-App können alle 18-Jährigen über 300 Euro für kulturelle Einkäufe wie Bücher und Musik oder Ausstellungs- und Aufführungskarten verfügen.
Nach drei Monaten müssen die Schöngeister im Kulturministerium allerdings nüchtern zur Kenntnis nehmen: Die Teenager kaufen sich mit dem Taschengeld weder Bücher von Proust oder wenigstens Molière, sie leisten sich auch keinen Eintritt ins Museum oder ins Theater. Anstatt neue Entdeckungen zu machen, investieren die Jugendlichen lieber mehr Geld in Massenmedien, die sie bereits lieben.
Vor allem japanische Comics machen rund zwei Drittel der Buchkäufe über die «Culture Pass»-App aus. Dabei generieren Bücher bis jetzt über 75 Prozent aller Einkäufe, die über die App getätigt werden. Die französischen Medien schreiben deshalb von einer «Manga-Hochblüte».
Eine Enttäuschung auch für die 8000 kulturellen Institutionen, die sich von der App ein neues Publikum für ihre von der Pandemie gebeutelten Kulturhäuser oder sonstigen Angebote erhofft haben.
Ebenso die Möglichkeiten zum Kauf eines Musikinstruments, zum Besuch eines Tanz-, Mal- oder Zeichenkurses werden mit der App nur selten genutzt, wie Recherchen der Medien zeigen. Obwohl die App seine Nutzer über eine Geolokalisierungsfunktion ermutigt, ihren kulturellen Leidenschaften nachzugehen.
Kaum beachtet würden auch die Empfehlungslisten, die von «Culture Pass»-Mitarbeitenden und von beliebten Künstlern und Prominenten kuratiert werden, zum Beispiel ein Blick hinter die Kulissen des Theaterfestivals von Avignon.
Kritiker argumentieren deshalb bereits, dass es eine naive Verschwendung von Steuergeldern sei, 825’000 Teenager «mit kostenlosem Bargeld loszulassen und zu erwarten, dass sie vom nächsten Multiplex in ein Arthouse-Kino gebracht werden».
Verteidigt wird die Idee von Jean-Michel Tobelem, einem ausserordentlichen Professor an der Universität Paris 1 Panthéon-Sorbonne, der sich auf Kulturökonomie spezialisiert hat.
«Sie müssen junge Leute nicht dazu drängen, den neuesten Marvel-Film zu sehen», sagte er. Es sei nichts falsch an Popmusik oder Blockbustern, betont er und räumt ein, dass «man durch K-Pop in die koreanische Kultur eintreten» und dann entdecken kann, dass es ein ganzes Kino, eine Literatur, Maler und Komponisten gibt, die irgendwie mit diesem Pop zusammenhängen.
Es braucht eben ein bisschen Geduld. Das bestätigt auch Naza Chiffert, die zwei unabhängige Buchhandlungen in Paris betreibt. Sie meint: «Junge Leute, die lesen, aber eher an Amazon oder Big-Box-Stores gewöhnt sind, zu uns zu bringen, ist nicht einfach», aber sie habe jetzt «jeden Tag Teenager in ihren Geschäften».
Die Gewerkschaft, die Hunderte von öffentlichen Kulturinstitutionen, hauptsächlich in den darstellenden Künsten, vertritt, schimpft den Pass ein Jahr vor den nächsten Wahlen ein «präsidiales Gadget» mit «exorbitanter» Finanzierung. Dennoch war der pädagogische Versuch seinen Preis Wert, wie der Klein Report meint. Das Projekt kostete in diesem Jahr bis jetzt 80 Millionen Euro und damit einen Bruchteil des Budgets des Kulturministeriums von fast 4 Milliarden. Und vielleicht komponiert ja einer der betroffenen Jugendlichen in zehn Jahren die erste «Manga Oper».