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Freitag
12.08.2022

Medien / Publizistik

Frank Überall ist Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, Universitätsprofessor in Köln und Buchautor...          (Bild: DJV)

Frank Überall ist Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, Universitätsprofessor in Köln und Buchautor... (Bild: DJV)

Für die Medien herrscht eine Zeit des Umbruchs. Die Digitalisierung schreitet voran. Die Werbung ist zumindest in Teilbereichen rückläufig. Beides wirkt sich auf die finanzielle Lage aus und damit auch auf den Umgang mit Projekten für die Zukunft.

Einer, der die Welt und das Geschäft der Medien von verschiedenen Seiten kennt, ist Frank Überall. Er wirkt als Professor an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft im Campus Köln. Gleichzeitig ist er Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes DJV.

Chefredaktorin Ursula Klein und Redaktor Simon Wenger haben dem vielseitigen Experten ein paar Fragen zur aktuellen Lage gestellt.

Wo liegen derzeit die grössten Herausforderungen für den Deutschen Journalisten-Verband?

Frank Überall: «Wir sind sowohl Gewerkschaft als auch Berufsverband. Im ersten Teil ist es vor allem der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, wozu auch eine im wahrsten Sinne des Wortes anständige Bezahlung gehört. Gerade in Krisenzeiten sind entsprechende Verhandlungen eine enorme Herausforderung, der wir uns aber stellen und für die unsere Mitglieder notfalls auch bereit sind, in Arbeitskämpfe zu gehen. Im berufspolitischen Bereich steht der Einsatz für die Pressefreiheit an erster Stelle. Dazu gehört auch, sich gegen vermehrte Übergriffe auf Demonstrationen bzw. für den Schutz der Kolleginnen und Kollegen einzusetzen. Und wir müssen aufpassen, dass bei Gesetzesvorhaben die vitalen Interessen des Journalismus nicht unter die Räder kommen.»

Der DJV versteht sich als Mischung aus Gewerkschaft und Berufsverband. Wie kam es dazu?

Überall: «Unter anderem ging und geht es um die immer grösser werdende Gruppe der freiberuflich tätigen Journalistinnen und Journalisten. Sie machen inzwischen schon die Hälfte unserer Mitgliedschaft (und wohl auch des Berufsstandes) aus. Da kommt man alleine mit gewerkschaftlichen und tarifpolitischen Mitteln nicht weiter. Trotzdem ist dieser traditionelle Einsatz für unsere Kolleginnen und Kollegen enorm wichtig. Wir sind eine tariffähige Gewerkschaft, und das soll auch so bleiben. Aber wir melden uns auch nachhaltig für den Journalismus als wichtige Säule der Gesellschaft zu Wort.»

Wie zeigt sich die Mischform in der Verbandsarbeit konkret?

Überall: «In der Aushandlung von Tarifverträgen, aber auch von Honorarrahmen für ‘Freie’. Darüber hinaus beraten wir unsere Mitglieder, auch im Rahmen des Rechtsschutzes, der elementar zur Solidargemeinschaft DJV gehört. Hinzu kommen zahlreiche Veranstaltungen, in denen wir uns mit Trends des Berufes auseinandersetzen. Beim DJV treffen die Interessen der unterschiedlichen Gruppen unserer Profession zusammen: Wo sitzen sonst Onliner, Radio- und Fernsehleute, Zeitungs- und Zeitschriftenmacher sowie Journalistinnen und Journalisten aus der Pressearbeit an einem Tisch?!»

Seit Jahren herrscht in der Medienbranche der Deutschschweiz (anders als in der Romandie) ein vertragloser Zustand. Die Verhandlungen der Gewerkschaft Syndicom, des Berufsverbands Impressum und des Verlegerverband (VSM) kommen kaum vom Fleck. Wie ist die Situation in der deutschen Medienbranche? Wie gut ist der Draht zu den Verlegern?

Überall: «Bei Tageszeitungen und Zeitschriften haben wir noch einen bundesweiten Flächen-Tarifvertrag. Er bröckelt aber an vielen Stellen, da muss dann in den Häusern gekämpft werden. Ob das gelingt, hängt immer vom gewerkschaftlichen Organisationsgrad und der konkreten Kampfbereitschaft vor Ort ab – also auch mal in einen Streik zu treten. Zum Glück setzen sich viele Kolleginnen und Kollegen häufig entsprechend ein, so dass wir als DJV zumindest einen gehörigen Respekt in den Unternehmensleitungen geniessen. Es ist und bleibt aber eine Auseinandersetzung, die immer und immer wieder geführt werden muss, und die leider auch nicht immer erfolgreich ist.»

Sie machen einerseits Verbandspolitik als Vorsitzender des DJV und forschen und lehren andererseits über Medien an einer Wirtschaftshochschule in Köln. Wissenschaft und Politik – wie kommt das für Sie zusammen?

Überall: «Zudem bin ich ja selbst auch noch als freier Journalist tätig, überwiegend für die Radio- und Fernsehwellen von WDR und ARD. Ich finde, die Erfahrungen, die ich in den drei Berufsbereichen sammeln darf, ergänzen sich gegenseitig gut. Natürlich gibt es Grenzen: So berichte ich als Journalist nicht mehr über Medienunternehmen oder über Gewerkschaften. Ich engagiere mich auch aus Überzeugung im Beirat der Anti-Korruptions-Organisation transparency international und habe deshalb ein besonderes Augenmerk darauf, Interessenkollisionen zu vermeiden.

Kommen sich Wissenschaft und Politik auch mal in die Quere? Und wie gehen Sie damit um?

Überall: «Wissenschaft liefert Fakten für die politische Diskussion. Und bis auf wenige radikale Kräfte spielen in der Politik Fakten zum Glück noch eine grosse Rolle. Deshalb sehe ich nicht, dass sich die beiden Bereiche gegenseitig in die Quere kommen.»

Anders als in der Schweiz, wo es nur einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt (SRG), gibt es in Deutschland mehrere. Was halten Sie von der Konkurrenz zwischen ARD und ZDF?

Überall: «Aus meiner Sicht geht es nicht um eine Konkurrenz, sondern um eine Ergänzung. Die Programme sind ja durchaus unterschiedlich. Historisch ist dieses Modell in Deutschland so gewachsen, und das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass auf Grundlage dieser Grundversorgung privater Rundfunk überhaupt erst ermöglicht wurde. Deshalb gibt es auch eine Bestands- und Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.»

Wo sehen Sie die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien, die in vielen europäischen Länder ja unter Druck geraten sind?

Überall: «Ich finde es traurig, dass in einigen Ländern dieses erfolgreiche und für die Demokratie äusserst förderliche System in Frage gestellt wurde bzw. wird. Ich bin davon überzeugt, dass wir europaweit einen guten öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen, eventuell sogar mit einer gemeinsamen, länderübergreifenden Plattform im Netz. Journalismus ist für unsere demokratische Gesellschaft auch eine Art der Daseinsvorsorge. Das dürfen wir nicht alleine dem Markt überlassen.»

Und wie sehen sie das Verhältnis zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den privaten Medien? Haben die Privaten in Deutschland genügend Entfaltungsspielraum?

Überall: «Ich sehe nicht, dass der Spielraum für die Entfaltung der privaten Medien in Deutschland durch die Öffentlich-Rechtlichen eingeschränkt wird. Und wo es Differenzen gibt, müssen diese klar benannt, diskutiert und Entscheidungen getroffen werden. Wer sich auf den deutschen Medienmarkt im Bereich Rundfunk begeben hat, wusste aber, worauf er sich einlässt. Jetzt darüber zu lamentieren, dass einem das alleine aus übertriebenem Gewinnstreben nicht gefällt, ist zumindest überraschend.»