Das neue Buch von Ronan Farrow schlägt in den USA und Grossbritannien vor allem in der Medienszene hohe Wellen. Regula Stämpfli berichtet in ihrer Kolumne für den Klein Report über die brisantesten Passagen, die das Potenzial haben, ein weltweites «Media Too» auszulösen.
Ronan Farrow ist ein intellektuelles Wunderkind und ist – wie er meist mit schmerzverzerrtem Gesicht angibt – mit Woody Allen verwandt, obwohl seine Mutter Mia Farrow meist erfolglos versucht, ihren Ex, Frank Sinatra, als möglichen Erzeuger ins Spiel zu bringen.
Ronan Farrow ist aber in erster Linie ein genialer Reporter. Er hat 2017 die «MeToo»-Debatte durch die Weinstein-Recherche mitinitiiert. Er lässt nicht locker beim Thema sexuelle Gewalt und der dazugehörigen Politik der herrschenden Elite. Auch sein neustes Buch «Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen» (Oktober 2019, englischer Titel «Catch and Kill») birgt Potenzial für viele mediale Detonationen, nicht zuletzt für ein mächtiges «Media Too» weltweit.
Farrow rückt «Modern Day Journalism» gefährlich nahe: Die ewig gleichen Anwaltskanzleien, Talk-Show-Hosts, ehemaligen Studienkollegen der Elite-Institutionen treffen sich mit ewig gleichen Richtern und Politikerinnen. Unterhaltung finanziert Wahlkämpfe, Entertainment baut Netzwerke, die Shows simulieren politische Wirklichkeit so geschickt, dass sie schliesslich den nächsten Präsidenten bestimmen.
Qualitätsmedien, Trash, Boulevard, Bloggerszene, Influencer, Gerüchteküche, Memes, Werbung – all dies ergibt das giftige Gemisch für die über jedem Gesetz stehenden US-Entertainmentkönige und Politikköniginnen. Matt Lauer, Andy Lack, Phil Griffin, Noah Oppenheim, Rich McHugh, Lisa Bloom, Hillary Clinton, Meryl Streep und viele andere mediale Top-Influencer sind auf höchster Ebene in den Weinstein-Skandal involviert.
Einige davon mussten schon gehen, andere sind immer noch in Amt und Ehren. Gleichzeitig üben die Boomers, auch weiblichen Geschlechts, mehr und mehr Kritik an «MeToo», ohne zu realisieren, dass sie die ewig gleichen Typen dadurch in Machtpositionen halten.
Farrows Buch wird sie hoffentlich und endlich eines Besseren belehren. Schockierend ist seine Publikaion auch betreffend Wikipedia. Die Online-Enzyklopädie steht ganz weit vorne, wenn es um «Whitewashing» einflussreicher weisser Männer und Anschwärzen grosser Frauen geht: Sehr beunruhigend.
Farrows Buch wurde bisher im deutschsprachigen Raum eher uninspiriert rezensiert. Dabei birgt die Reportage mediales Sprengpotenzial auch für Europa. So hat der «Tages-Anzeiger»-Report von Simone Rau im Juni dieses Jahres zwar unzählige «Media Too»-Fälle in der Schweiz aufgedeckt. Doch seither ist nichts mehr passiert.
Fazit: Sexuelle Gewalt, Machtmissbrauch, Übergriffe kommen zwar in Schweizer Medien vor, doch bleiben sie ohne Konsequenzen für die Täter. Die Opfer hingegen werden – wie seit Jahrzehnten – in einem Gemisch von Medien-Mittäterschaft unsichtbar gemacht. Wie viele grosse Frauenkarrieren wurden wohl aufgrund «Media Too» in den letzten Jahrzehnten behindert, blockiert oder zerstört?