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Donnerstag
17.03.2016

Medien / Publizistik

SDA-Chefredaktor Maissen macht, was er will

SDA-Chefredaktor Maissen macht, was er will

Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) hat es nicht so mit dem kleinen Einmaleins: 4 Milliarden oder 400 Millionen Franken?

Was war geschehen? Am 15. Februar 2015 verbreitete die Nachrichtenagentur eine Meldung mit dem Titel «Arbeitgeberpräsident fürchtet Milliardenkosten für Kontingente», die gleichentags in der «NZZ am Sonntag» in einem Interview von Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt publiziert worden war.

Der Bund rechne mit 200’000 zusätzlichen Gesuchen für Erwerbstätige aus Europa. Die Kosten beliefen sich bei einem Aufwand von 2000 Franken pro Gesuch auf vier Milliarden Franken. Anmerkung des Klein Reports und schon damals anderer Journalisten: Rechne!

Wie der Presserat am Mittwoch mitteilte, reichte X. am 18. Februar 2015 Beschwerde gegen die SDA-Meldung «Arbeitgeberpräsident fürchtet Milliardenkosten für Kontingente» vom 15. Februar 2015 ein. «Er stellte einen 'groben' Fehler im Artikel fest: 200’000 Gesuche à 2000 Franken ergeben 400 Millionen und nicht wie im Artikel behauptet 4 Milliarden Franken. Eine Korrektur dieses Fehlers durch die SDA sei bis zum Datum der Einreichung der Beschwerde nicht erfolgt», schreibt der Presserat.

Erst sagenhafte zwei Monate später, am 15. April 2015, nahm SDA-Chefredaktor Bernard Maissen, Stellung zur Beschwerde. Er halte fest, dass die SDA am Sonntag, 15. Februar 2015, ein Interview von Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt in der «NZZ am Sonntag» ausgewertet habe. Dieses Interview habe den Titel «Mehrkosten bis zwei Milliarden Franken pro Jahr» getragen. Im Text heisse es wörtlich: «Wenn der Aufwand für ein Gesuch 2000 Franken ausmacht, wie das meine Erfahrung zeigt, und nicht 500 Franken wie vom Bund geschätzt, so belaufen sich die Kosten auf vier Milliarden Franken. Selbst wenn man einen Rückgang der Zuwanderung und eine erhebliche Vereinfachung der Bewilligungsverfahren annimmt, (...) gehe ich für die Wirtschaft von Mehrkosten von einer bis zwei Milliarden Franken pro Jahr aus.»

Maissen weiter: Die SDA gehe bei Interviews mit Frage und Antwort davon aus, dass der Interviewte die Aussagen autorisiert hat. Sie habe daher prima vista keinen Grund gehabt, an den Aussagen von Valentin Vogt zu zweifeln, zumal die gleichen Aussagen des Arbeitgeberpräsidenten auf der Frontseite der «NZZ am Sonntag» zu finden gewesen seien. Am Abend des 15. Februar habe ein Westschweizer Journalist die SDA darauf aufmerksam gemacht, dass die Berechnung von Vogt einen gravierenden Fehler enthalte. Statt vier Milliarden hätte es 400 Millionen heissen müssen.

Die Nachrichtenagentur habe daraufhin Valentin Vogt telefoniert. Dieser habe bestätigt, dass «die Regulierungskosten der Unternehmen wegen der Einführung von Kontingenten bis zu zwei Milliarden Franken pro Jahr» betragen dürften. Diese Aussage habe er mit einer Zahlentabelle unterlegt. Auf die Zahl von 4 Milliarden sei Valentin Vogt im Gespräch mit der SDA nicht im Detail eingegangen, weshalb sie keine Veranlassung gesehen habe, die Meldung zu korrigieren, verteitigte sich Maissen gemäss Presserat.

Am 16. Februar hätten weitere Medien die SDA darauf hingewiesen, Vogts Berechnungen enthielten einen Fehler. Die SDA habe Vogt erneut mit diesen Aussagen konfrontiert, worauf dessen Antwort gleich ausgefallen sei wie am Vortag. Am 17. Februar 2015 habe sich die SDA dennoch entschlossen, in ihrer Datenbank die Zahl von 4 Milliarden auf 400 Millionen Franken zu korrigieren. Solche nachträglichen Korrekturen seien bei der SDA Usus, damit werde sichergestellt, dass Kunden, die mit Datenbanken der SDA arbeiten, künftig auf korrekte Angaben zugreifen.

Und auch nicht gerade im Eiltempo begann das Presseratspräsidium am 16. Dezember 2015 mit der Arbeit und verabschiedete am 14. März 2016 durch Dominique von Burg, Francesca Snider und Max Trossmann ihre Stellungnahme auf dem Korrespondenzweg.

Die Erwägung des Pressrates im Wortlaut: «Die Meldung der SDA vom 15. Februar 2015 enthält bezüglich der von Arbeitgeberpräsident Vogt in einem Interview genannten Zahlen einen offensichtlichen Rechenfehler. Dieser wurde von der SDA am Dienstag, 17. Februar 2015 in ihrer Datenbank korrigiert. Richtlinie 5.1 (Berichtigungspflicht) zur 'Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten' hält fest, dass die Medienschaffenden Unrichtiges unverzüglich von sich aus berichtigen. Die materielle Unrichtigkeit betrifft die Fakten und nicht die sich auf erwiesene Fakten abstützenden Werturteile. Die SDA ist am Tag der Veröffentlichung der Meldung auf den Rechenfehler aufmerksam gemacht worden. Am folgenden Tag hat die SDA mit dem Interviewten Kontakt aufgenommen. Dieser bestätigte die von ihm genannten Zahlen. Dies auch nach einem erneuten Nachfragen. Einen Tag später hat die Agentur den Rechenfehler in ihrer Datenbank korrigiert und mit dem Zusatz versehen: 'Note: Kostenschätzung im 2. Abschnitt von Vogt nachträglich korrigiert (17.2.2015)'.»

Der Presserat weiter: «Damit stellt sich die Frage, ob die SDA der Pflicht zur umgehenden Berichtigung des Fehlers nachgekommen ist. Eine Korrektur in den Archiven führt allenfalls dazu, dass eine spätere Recherche nicht mehr mit dem gleichen Fehler arbeitet. Hingegen erfolgte kein Hinweis an die Redaktionen, dass eine Meldung der SDA mit massiv falschen Zahlen operierte. Nur dies aber könnte dazu führen, dass auch allfällig falsche Informationen für die Öffentlichkeit noch korrigiert werden. Der Leser jeden Berichts, der sich auf die SDA-Meldung abstützte, erfuhr so nichts von dieser Falschmeldung. Die SDA ist somit der Pflicht zur umgehenden Berichtigung gestützt auf Ziffer 5 der 'Erklärung' nicht nachgekommen.»

Die Beschwerde wird deshalb gutgeheissen. Der Presserat stellt fest: «Die SDA hat mit der Meldung 'Arbeitgeberpräsident fürchtet Milliardenkosten für Kontingente' vom 15. Februar 2015 und insbesondere mit der in ihrem aktuellen Dienst unterbliebenen Korrektur eines gravierenden Rechenfehlers Ziffer 5 (Berichtigung) der 'Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten' verletzt.»