Sich mit Claas Relotius anzulegen, ist gefährlich. Dies beschreibt der Autor Juan Moreno in seinem Buch «1000 Zeilen Lügen» ausführlich. Für den Klein Report kommentiert Medienexpertin Regula Stämpfli, die das Enthüllungsbuch gelesen hat.
In seinem Buch schreibt Moreno: «Meine Frau und ich sind beide freie Journalisten, unserer Branche geht es nicht gut. Für eine Reportage bezahlt eine Zeitung mittlerweile etwa dreihundert, vierhundert Euro, man arbeitet daran über eine Woche. Wir haben vier Kinder. 'Mein Freund, es wäre ein Weg, dein Leben zurückzubekommen', sagte meine innere Stimme.»
Der Weg zurück wäre gewesen, nichts zu sagen, sich zu entschuldigen und zuzugeben, dass er sich verrannt hatte. Und der journalistische Jahrhundertfälscher Relotius würde wohl auch dieses Jahr wieder einer der höchsten Journalistenpreise nach Hause tragen. Claas Relotius hat sich nach seinem Auffliegen nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Nur sein Staranwalt, dessen Stundenansatz man sich gar nicht vorstellen will, tritt ab und an in Erscheinung.
Doch am Mittwoch platzte die Bombe: Claas Relotius geht juristisch gegen das Enthüllungsbuch von Juan Moreno vor.
Der Vorwurf von Relotius klingt wie das Vergehen, dessen er mannigfach überführt wurde: «Ohne mich persönlich zu kennen oder mit Menschen in meinem persönlichen Umfeld gesprochen zu haben, konstruiert Moreno eine Figur», sagte er gegenüber der «Zeit».
Der Satz ist der Hammer. Er stammt von einem entlassenen sowie als Lügner entlarvten Mann, der seine Leser, seine Kollegen betrogen und den Ruf der gesamten Branche auf Jahrzehnte hinaus beschädigt hat. Relotius hat dem rechtspopulistischen Vorwurf der «Lügenpresse» ein Gesicht gegeben.
Relotius' Klage zeigt, wie hartnäckig er seinem Aufdecker schaden will. Mittäter sind dabei einmal mehr einige Journalistenkollegen. Die «Zeit» positionierte sich diesbezüglich als Relotius-Versteher, während die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» die von ihm monierten Anklagepunkte anführte, um zu zeigen, wie absurd die Vorwürfe an die Adresse von Juan Moreno sind.
Ein zitierter Klagepunkt von Relotius ist unter anderen die ungenaue Zahl der Preise, die der Fälscher gewonnen haben soll: Moreno nannte 40 Auszeichnungen und stützte sich dabei auf den Abschlussbericht des «Spiegel». Laut Relotius seien es aber nur neunzehn Preise und zwei Auszeichnungen gewesen.
Im Ernst? Und diese Zahlendifferenz soll den Bericht über das Lügengenie des Jahrhunderts zu einem «Falschbericht» machen? Gleichzeitig hält Relotius fest, dass er nie gesagt habe, seine Schwester hätte Krebs, sondern nur, sie sei krank. Fakt ist: Relotius hat immer noch keine Schwester, ob nun krank, mit oder ohne Krebs.
Die Art und Weise, wie die deutsche Presse solche «Richtigstellungen» aufnimmt, ist pitoyabel. Auf der einen Seite haben wir einen Journalisten, der jahrelang den «Spiegel», die Leserschaft und seine Kollegen betrogen hat, der dem «Spiegel» einen unglaublichen Imageverlust eingebrockt und den schon designierten Chefs die Karriere verbaut hat.
Auf der anderen Seite gibt es den selten mutigen Reporter Moreno, der sein Leben und seine Karriere aufs Spiel gesetzt hat, um den journalistischen Jahrhundertfälscher auffliegen zu lassen.
Die Klage hat einen faden Beigeschmack: Wer einem Journalisten juristisch und öffentlichkeitswirksam Druck macht und selbst bei einer nicht-existenten Schwester auf einer korrekten Krankheitsgeschichte beharrt, ist extrem mediengewandt und kalkuliert damit, dass nicht der Tatbestand, sondern der Vorwurf «Unwahrheit» im Raume stehen bleibt.
Es bleibt gefährlich, sich mit Relotius anzulegen.