Das Massaker in der Redaktion von «Charlie Hebdo» und der darauffolgende «Republikanische Marsch» in Paris haben international hohe Wellen geschlagen. Zwar waren sich die Medien einig, dass die Massenkundgebung ein wichtiges Zeichen der Solidarität und des Mitgefühls sendet, doch in den Kommentarspalten beleuchten sie ganz unterschiedliche Facetten des Anschlags.
In Deutschland diskutiert man die Hintergründe und Herausforderungen, während britische Tageszeitungen in die Zukunft blicken und sich gegen eine neue Art der Demagogie aussprechen. In den USA wird die Manifestation in Paris in erster Linie als grosses Zeichen der Solidarität und als Verteidigung der Meinungsfreiheit gedeutet.
«Eine aussergewöhnliche Kette von 1,5 Millionen Personen, angeführt von internationalen Spitzenpolitikern, marschierte den Boulevard Voltaire hinunter», schreibt die «Washington Post» und spricht von einer «Machtdemonstration». Diese habe aufgezeigt, dass die «Kraft der Einigkeit und die Meinungsfreiheit gegen Fanatismus und Terror obsiegen».
Für die «New York Times» war der Zug durch Paris eine «dröhnende Demonstration der Solidarität und der Entrüstung, ausgelöst durch die Gräuel und Schrecken des Anschlages». Die amerikanische Zeitung sah ein klares Signal gegen Extremismus und für die Meinungsfreiheit: «Allein durch die schiere Anzahl machten die Demonstranten deutlich, dass `Charlie Hebdo` ein fundamentales demokratisches Recht ausübte: die Meinungsfreiheit. Keine vermeintliche Provokation, keine Kränkung und sicherlich keine religiöse Überzeugung rechtfertigt die Tötung jener, die lediglich die Feder schwingen.»
Die «Süddeutsche Zeitung» (SZ) erkennt eine Rückbesinnung der Franzosen zu «Bürgersinn und republikanischem Geist»: «Ein neues Wir-Gefühl eint Frankreich. Aber wie lange wird es halten? Die wirklichen Herausforderungen stehen noch bevor. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit werden sich behaupten müssen», schreibt die SZ. So stelle sich die Frage nach der Beschneidung der Freiheitsrechte: «Wie viel Freiheit muss sterben, um Leben zu retten?» Die grosse Herausforderung liege in der Erhaltung des Gemeinschaftsgefühls, um einer weiteren Radikalisierung der Pole vorzubeugen.
Ähnliche Befürchtungen leiten auch die britische Zeitung «The Independent»: «Wird Frankreich den selben Fehler machen, den die Bush-Administration, die Neo-Konservativen und die amerikanischen Sicherheitsbehörden gemacht haben, indem sie 9/11 ausgenutzt haben, um ihre Macht zu erhöhen und ihre Agenda durchzusetzen?» In einem Kommentar sieht das Blatt einen wichtigen Ursprung in den Konflikten in Syrien, Somalia, Lybien, Afghanistan oder im Irak, die zwangsläufig einen gewissen Einfluss auf muslimische Minderheiten auf der ganzen Welt hätten. Schlussendlich sei es keine Frage der Sicherheit, sondern eine Frage der Politik, da diese schliesslich die Konflikte in diesen Ländern erst ausgelöst hätte.
Eine ganz andere Position nimmt die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ) ein, die sich für eine Verstärkung der Sicherheitsbemühungen in dieser bedrohlichen Situation stark macht: «Kein Land, das von Terroristen ins Visier genommen wird, darf allein gelassen werden. Für uns Europäer muss dieses öffentliche Zusammenstehen selbstverständlich sein. Es muss Konsequenzen haben, die sich in einer verstärkten gemeinsamen Gefahrenabwehr niederschlagen und in dem gehärteten Willen, vor dem islamistischen Extremismus und Terrorismus nicht in die Knie zu gehen», schlägt die FAZ resolute Töne an. «Der `7. Januar` sollte wenigstens uns Europäern eine Mahnung sein, dass die Sicherheit der Bürger verteidigt werden muss - so wie das republikanische Gemeinwesen verteidigt werden muss.»
Für den «Guardian» hat der «Republikanische Marsch» gezeigt, dass «Diversität Stärke hervorbringt und das eigentliche Feindbild die Tyrannei des Dogmas ist». Europa habe sich solidarisiert. Durch die Absenz von Exponenten radikaler Parteien, wie dem Front National oder Ukip, hofft sie auf eine verstärkte europäische Zusammenarbeit der gemässigten Kräfte. «Denn die Welt wird nicht durch unterschiedliche Religionen oder Kulturen entzweit, sondern durch den Glauben an Dogmen und absolute Wahrheiten.»
Reporter ohne Grenzen dagegen zeigten sich nicht nur solidarisch, sondern übte auch harsche Kritik an der Anwesenheit von «Raubtieren der Pressefreiheit» in Paris. Namentlich wurden die anwesenden politischen Eliten aus Russland, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei genannt. Diese unterdrückten die Pressefreiheit in den jeweiligen Ländern massiv: «Wir müssen unsere Solidarität mit `Charlie Hebdo` demonstrieren, ohne alle anderen `Charlies` der Welt zu vergessen.»